Werbefritzen und -fritzinnen werden bestätigen, dass das Adjektiv „natürlich“ durch und durch positiv behaftet ist. Das Wort lacht heute von beinahe jeder Verpackung, um uns vorzugaukeln, dass zum Beispiel die superbilligen Eier nicht aus einem Agrar-Gulag stammen, sondern vom Bauernhof-Idyll, gelegt von Hühnern mit optimierter Egg-Life-Balance und aufgeklaubt von einem sympathischen Opa.

Mit Etikettenschwindel habe ich kein Problem, der ist normal und wird von uns Konsumenten und Wählern ja ausdrücklich verlangt (Beweis: ehrliche Politiker haben bei Wahlen nicht den Hauch einer Chance). Ein Problem habe ich mit dem Begriff selbst. Wir tun nämlich so, als sei „natürlich“ das Beste, was es gibt. Mein Eindruck ist ein anderer.

Wir haben seit vielen Jahren ein Gehege, mit dem wir unseren Hühnern nicht nur enorm viel Platz geben, um deren Selbstverwirklichung zu gewährleisten, und einen Unterstand, falls es mal stärker regnet, sondern von wo sie auch abhauen können, wenn sie keinen Bock mehr haben, sich von der Familie Fitzner die Eier klauen zu lassen. Und natürlich ist nahezu alles, was sie zum Futtern kriegen, natürlich. Anders gesagt: Die Lebensbedingungen unseres Federviehs grenzen an Wellness. Wenn ich einem beliebigen meiner Hühner zu einem beliebigen Zeitpunkt tief in die Augen schaue, ist das erste Wort, das mir durch den Kopf geht: Mindfulness. Das zweite: Zen. Und erst das dritte: Omelette.

Die Frage ist nun, welche Mentalität in unserer umhätschelten Gackertruppe herrscht. Nach jahrelangen Verhaltensstudien bin ich zu einer Erkenntnis gelangt, die mich so unerwartet getroffen hat wie eine Kokosnuss an einem palmenfreien Tag: Meine Hühner sind Faschisten.

Die Machtverhältnisse sind klar: Der Gockel ist Boss, die Stellung der Frau nur unter sexualgymnastischen Gesichtspunkten ein Thema. Unter den Hühnern herrscht, was sich nicht zufällig die Hackordnung nennt. Schon unter Küken wird angefeindet, wer fremdsprachig piepst oder irgendwie anders aussieht. Neuzugänge („Volklsfremde“) werden xenophob ausgegrenzt. Besonders aggressiv wird das Geschwader, wenn ein Huhn fremder Rasse immigriert. Und bei der Fütterung, eigentlich bei allem, herrscht das Recht des Stärkeren.

Das ist nicht alles: Wenn ich morgens das Gehege besuche, schießen die Hühner von ihrer Schlafstätte hoch oben auf dem Olivenbaum runter wie eine Rotte Stukas, wobei ich rätsle, ob das mangelnder Flugtechnik zuzuschreiben ist oder die Viecher zuviele WK II-Dokumentationen gucken. Vor kurzem hatte ich einen Albtraum, in dem mir die Obersturmbannhenne Eva (sie ist braun) entgegenraste, auf ihren Flügeln das Emblem der deutschen Luftwaffe 1941. Das Thema schlägt offensichtlich auf meine Psyche durch.

Was tun? Auf dem Markt von Sineu sondierte ich bei einem vierschrötigen Bauern, ob er entnazifiziertes Geflügel im Angebot hätte. Seine Frau begann nervös nach dem Handy zu fingern und ich machte, dass ich davon kam. Wahrscheinlich muss ich mich damit abfinden, dass das Verhalten meiner Hühner normal ist. Beziehungsweise (und da ist es wieder, dieses schöne Wort) „natürlich“.

Kolumne in der Inselzeitung März 2020