Zwei Frauen des Straßenreinigung-Teams machen Pause in der Dorfbar und bestellen Aquarius. Der junge Kellner schaut ihnen tief in die Augen. Ob sie sicher seien? Ob sie wüssten, was da alles drin ist? Ob ihnen bewusst sei, wie ungesund das ist? Er habe mit einer Gesundheits-App sämtliche Getränke der Bar gecheckt, und ein einziges sei dabei nicht durchgefallen: Mineralwasser.

Die beiden sind verstört. Vielen Dank, aber sie hätten jetzt doch Lust auf Aquarius. Der Kellner entfernt er sich kopfschüttelnd.

Der Mann hat den Titel „ehrlichster Kellner der Insel“ verdient. Zum Angestellten des Monats wird er es nie bringen. Die Leser ahnen, dass ich manchmal übertreibe und fantasiere, aber das heutige Thema hat keinerlei kreative Ausschmückungen nötig. Ich habe es so vermisst. Nicht die Franchise-Restaurants, wo der Gast nach Betriebsanleitung CCV 2020 Version A Spanien bedient wird. Nein. In den Indie-Lokalen spielt das Leben.

Zum Beispiel in der Bar der Sportanlage, wo ich meine IZ-Kolumnen schreibe, während mein Sohn Fußball trainiert. Je nach Wochentag werde ich von einem Mann oder einer Frau bedient. Derselbe rote Tee, den ich bestelle, kostet beim Kellner 1 Euro 50 und bei der Kellnerrin 1 Euro 20. Zuerst dachte ich an einen Irrtum, doch nach zirka hundert Besuchen kann ich das Tee-Mysterium als Fakt bestätigen.

Kommt eine Bekannte in ein Restaurant in Palma, bestellt und bittet um Mayonnaise. Haben wir nicht, sagt der Kellner. Die Frau: In jedem Restaurant gibt es doch Mayonnaise! Darauf der Kellner: Bei uns nicht. Der Besitzer mag keine Mayonnaise.

Anti-Marketing vom Feinsten! Mein Lieblingslokal ist seit kurzem ein schummriger Döner-Schuppen gegenüber einem modernen Freizeit-Komplex. Drüben reihen sich glänzende Franchise-Restaurants mit normierter Speisekarte, normiertem Dekor und normiertem Personal. Ganz anders die Döner-Kaschemme. Dort führen vierschrötige Osteuropäer das Regiment, der Ton ist rau und der Bildschirm zeigt bulgarische Musikvideos. Einmal war der Teig des Döners teilweise so roh, dass ich zuerst glaubte, das sei Sauce. Keine Ahnung, was ich dort zu mir nehme, aber einmal im Monat muss ich hin, um mich von der zu Hause angesagten Bio-Gesundheitskost zu erholen.

Dann war da noch die Kellnerin des Cafés am Lonja-Platz, die nach drei Besuchen alles über dich wusste. Eine freundliche, ehrliche, simple Person. Als in der Lonja eine Ausstellung von Miquel Barceló eröffnet wurde – Mallorquiner und Spaniens Superstar der zeitgenössischen Kunst –,sah ich im Publikum die Kellnerin und dachte mir noch: Sieh mal an. Barceló, umringt von Politikern und Presse, hielt sich von der Menge fern. Nur einmal erkannte er jemanden, stürzte sich ins Getümmel und umarmte … „meine“ Kellnerin!

Später erzählte sie mir warum. Als sie in Barcelona kellnerte, wohnte der damals vollkommen unbekannte Barceló in der Nähe. Er war oft so klamm, dass er nicht mal Essen kaufen konnte. „Am Ende des Tages haben wir Kellnerinnen aus dem, was übrig war, ein paar Sandwiches gemacht und ihm heimlich zugesteckt.“

Ich wünsche den inhabergeführten Cafés, Bars und Kaschemmen ein langes Leben!

Kolumne in der Inselzeitung Juli 2020