Da die Klopapier-Krise nun auch das Osterfest bedroht, wärme ich Erinnerungen auf. Ein einziges Mal habe ich an einer Prozession teilgenommen, um für viel Mist, den ich gebaut hatte, angemessen zu büßen. Ich fand Aufnahme bei einer modernen Dorf-Bruderschaft namens „Virgen sin fronteras“ („grenzenlose Jungfrau“), die händeringend Mitglieder suchte, um das schwere Heiligenbild zu schleppen. Entsprechend lax war das Aufnahmegespräch. Mein Glaubensbekenntnis (nicht praktizierender Atheist) wurde achselzuckend hingenommen.

Der Abend der Prozession stand unter einem schlechten Stern. Weil Neuling, schätzte ich die Reichweite der Spitzhaube falsch ein. Als ich mich nach dem runtergefallenen Handy bückte, piekte ich eine Büßerin genau dort, wo es besonders kitzelt. Zudem fand zeitgleich ein „Clásico“ statt. Die Brüder und Schwestern versicherten einander, dass ihnen der Ritus wichtiger sei als das Schlagerspiel zwischen Real Madrid und FC Barcelona. Die Motivation erlitt jedoch einen herben Rückschlag, als wir das Gestell mit der Marienstatue anhoben. Gott, war das schwer! Der Chef-Bruder beruhigte uns: „Leute, ich habe unten ein Rad montiert. Wenn wir nicht mehr können, klappen wir es auf.“

Stöhnend trotteten wir los. Die Gassen waren menschenleer, aus den Häusern hallte das Geschrei der Fußball-Kommentatoren. Kurz brach eine Debatte los, ob man die Prozession nicht um zirka 90 Minuten verschieben könne, doch der Chef-Bruder erinnerte daran, dass die Ortspolizei nur für den geplanten Zeitraum die Straßen gesperrt habe.

Dann kamen wir an der „Bar Tomeu“ vorbei, durch deren Glastür man den Fernseher sah. Wir trippelten verdächtig lange auf der Stelle, bis der Oberbruder den Haufen mit einem saftigen Fluch wieder in Bewegung setzte. Kaum zehn Meter weiter hörte ich: „Elfmeter“. Schlagartig stand ich mit Maria allein auf der Straße.

Die Minuten vergingen. Ich wurde nervös. Der Zeitplan! Also klappte ich das Rad auf und schob das Ding solo. Bald musste ich in eine ansteigende Gasse abbiegen, und das war zuviel: Statt Maria bergauf zu schieben, schob Maria mich bergab. Prompt stellten sich mir zwei Guardia Civiles in den Weg. Mit schmirgelnden Sohlen schaffte ich es, vor ihnen zu bremsen.

„Was haben wir denn da?“, fragte der eine. In seiner Miene war abzulesen, dass er einen Reliquiendieb vor sich wähnte.

„Maria“, sagte ich, nicht ahnend, dass das Wort im Spanischen auch eine gängige Abkürzung für Marihuana ist. Das Interesse der Beamten wurde intensiver. Ich versuchte die Situation zu erklären. Als er fragte: „Glaubensbekenntnis?“, erwiderte ich mehr aus Kalkül denn aus Überzeugung: „Real Madrid.“

Es war wohl die korrekte Antwort. Mit Hilfe ihres Dienstwagens brachten die Beamten mich samt Maria auf den rechten Weg zurück. Genau nach Zeitplan kamen wir vor der Kirche an. Sekunden später schoss die panische Meute der Büßer um die Ecke, offenbar in der Annahme, der Ausländer hätte das Marienbild als Souvenir mitgehen lassen.

Die Kutte und die Haube habe ich noch zu Hause. Gelegentlich ziehe ich sie an, um meine Frau zu erschrecken, wenn sie um Mitternacht vor der Glotze döst. Funktioniert immer.

Kolumne in der Inselzeitung April 2020