Das Letzte, was ich heute sein möchte, ist Sportreporter. Mit der üblichen aufgeregten Stimme müssen sie momentan darüber berichten, was wegen der Klopapierkrise alles NICHT stattfindet, und wie die quarantänisierten Elite-Sportler zu Hause in der Badewanne für das Olympische Schwimmturnier oder auf dem Rund-um-den-Mülleimer-Parcours in der Garageneinfahrt für die Tour de France trainieren. Darum meide ich aktuelle Sportsendungen und schaue mir nur altes Zeug an, das in etlichen Kanälen wiedergekäut wird.
Dabei entdecke ich Erstaunliches. So scheint die Luftdichte in den letzten Jahrzehnten abgenommen zu haben – wahrscheinlich ein Nebeneffekt der globalen Erwärmung –, denn bei Tennisturnieren flogen die Bälle deutlich langsamer. Beim Sandplatz-Finale zwischen Guillermo Vilas und Mats Wilander 1982 in Barcelona kann man sehen, wie Zuschauer nach dem Aufschlag heiße Würstchen kaufen gingen und rechtzeitig zum Return wieder auf ihren Plätzen waren. Heute blinzelt man im falschen Moment und verpasst einen kompletten Ballwechsel.
Beim Zapping bleibe ich nur kurz beim regionalen Sender IB3, weil da gerade einer erklärt, wie man Tomaten schneidet. Wegen meiner Krisendiät schalte ich rasch weiter.
Und stoße auf ein Formel-eins-Rennen im Jahr 1960. Da ist es genau umgekehrt: Die Autos scheinen viel schneller als heute. Kann eigentlich nicht sein. Dann habe ich die Erklärung: Es ist eine optische Täuschung, weil sich das Publikum direkt am Rand der Rennstrecke drängt. Die Boliden fahren den Zuschauern buchstäblich über die Zehen. Sieht anders aus als die einsamen Rennmaschinen von heute, umgeben von hektarweise Sicherheitsstreifen und irgendwo in weiter Ferne die Zuschauer. Den Effekt kann man selbst erleben: 120 km/h auf der breiten Autobahn erscheinen langsam, 35 hm/h in der engen Dorf-Durchfahrt rasend schnell.
Zurück zu IB3. Dort werden Teigtaschen in einen Ofen geschoben. Wegen meiner Krisendiät schalte ich rasch weiter.
Stoppe bei einem Film über britischen Frauenfußball während des Ersten Weltkriegs. Teams von Munitionsfabriken traten gegeneinander an, dort arbeiteten damals nur Ladies. Unerwähnt bleibt, wer die Liga 1914 gewonnen hat: Tottenham Bombshells oder Manchester Ignited?
Mit gedämpftem Optimismus wieder zu IB3. Dort demonstriert ein Typ mit Strohhut, wie man eine Sobrassada richtig öffnet und wieder zumacht. Wegen meiner Krisendiät schalte ich rasch weiter.
Stoße auf eine Doku über den reichsten Sportler der Geschichte. Cristiano Ronaldo (Fußball)? Michael Jordan (Basketball)? Wladimir Putin (Judo)? Mitnichten. Gaius Appuleius Diocles (Wagenrennen, Altes Rom). Der Pferdegespann-Lenker häufte im Lauf seiner Karriere umgerechnet eine Milliarde Dollar an. Ohne Fernsehwerbung. Roll over, Rafa!
Aus purem Lokalpatriotismus kehre ich zu IB3 zurück und juble: Endlich eine historische Sportsendung! Kein Essen! Geschildert wird der Europacup der Windhunde-Rennen 1956 in Palmas „Canódromo“. Der Sieger bekommt … einen Napf mit besonders leckerem Futter.
Ich hätte es wissen müssen.
Kolumne in der Inselzeitung Mai 2020