Bis vor kurzem war ich in Sachen Amerikanischer Bürgerkrieg ein Analphabet wie die meisten Europäer. Ich wusste nur, dass der Süden gegen den Norden kämpfte, dass viele Menschen starben und dass damals zum ersten Mal ein U-Boot ein Kriegsschiff versenkte. Zufällig entstaubte ich zwei Wochen vor dem Sturm der Trumpianer auf das Capitol ein Buch, das ich vor drei Jahrzehnten in den USA gekauft hatte. Nie hätte ich gedacht, wie nah sich Vergangenheit und Aktualität kommen können. Und mit dem nun angelesenen Wissen erschien mir das Bild eines  Capitol-Stürmers mit der Kriegsflagge der Konföderierten nochmal ein Stück gruseliger.

Sowohl als Lektüre und wie auch als Geschichtsbuch ist „The Civil War“ ein Juwel (Geoffrey C. Ward, Verlag Alfred A. Knopf, New York). Und wie ich zu meiner Überraschung feststelle, ist mein Impulskauf vor 30 Jahren zum Klassiker avanciert und bis heute im Handel. Hochgradig empfehlenswert.

Hier 14 der für mich, den Ignoranten, verblüffendsten Fakten über den amerikanischen Bürgerkrieg:

  1. Im Mittelpunkt des Konflikts stand die Sklaverei. Die radikalsten Gegner der Sklaverei waren jedoch nicht die Demokraten, sondern die Republikaner. Mit Abraham Lincoln wurde 1860 ein Republikaner zum Präsidenten gewählt, der als radikaler „Abolitionist“ galt. Das war der Funke. Die Demokraten kritiserten die sklavereifeindliche Politik Lincolns energisch. They’ve come a long way …
  2. Um den Krieg zu finanzieren, führte Abraham Lincoln die erste moderne Einkommensteuer der Geschichte ein.
  3. Am Morgen des 9. März 1862 erwiesen sich alle Kriegsflotten der Welt schlagartig als veraltet: Mit der Südstaaten-Fregatte „Merrimack“ kreuzte das erste eisengepanzerte Kriegsschiff der Geschichte auf und war gegen den Beschuss durch herkömmliche Schiffsartillerie praktisch immun.
  4. Der beste Heerführer des Bürgerkriegs – Robert E. Lee – erhielt in den ersten Tagen des Konflikts von Präsident Abraham Lincoln das Angebot, die komplette Nordstaaten-Armee zu kommandieren. Lee lehnte ab, weil er sich seinem Heimatstaat Virginia verpflichtet fühlte, und wurde zum legendärsten General des Südens.
  5. Aus Rache wurde gegen Ende des Kriegs der bis heute bekannteste Soldatenfriedhof der USA – Arlington – direkt auf dem Rasen vor der Haustür von Robert E. Lees Anwesen in Virgina angelegt.
  6. Der Süden war bekanntlich von Landwirtschaft geprägt, speziell Baumwoll-Plantagen, und der Norden von Industrie. Diese unterschiedliche Spezialisierung ging so weit, dass die Südstaaten-Regierung zu Beginn ihre Banknoten im Norden produzieren lassen musste, weil es im Süden keine einzige Druckerei gab, die dazu in der Lage war.
  7. Die Südstaaten betrachteten Schwarze als Eigentum, nicht als Personen. Wenn es aber um die Zuteilung von Staatsmitteln ging, die von der Bevölkerungszahl abhing, wurde man „flexibel“. Vor dem Bürgerkrieg einigten sich Norden und Süden, dass Sklaven dann doch als Personen galten, wenn es darum ging, die Bevölkerungszahl zu ermitteln. Allerdings wurde ein Schwarzer nur zu drei Fünftel als Person gezählt. Man hat seine Prinzipien … Einer von vielen faulen Kompromissen, mit denen die Zentralregierung lange um die Einheit der Vereinigten Staaten rang.
  8. Die berühmte Schlacht von Gettysburg begann als Kampf um ein Schuhlager. Die Südstaaten-Soldaten erhielten identische Einheitsstiefel, die erst in linke und rechte Schuhe „zurechtmarschiert“ werden mussten. Das Gerücht, dass in Gettysburg eine Menge des begehrten Fußzeugs lagerte, zog magnetisch die ersten Truppen beider Armeen an. Und als diese sich ineinander verbissen, kam von beiden Seiten Verstärkung und das Ergebnis war eine der größten und verlustreichsten Schlachten des Kriegs.
  9. Anders als die Südstaaten stellten die „Unionisten“ schwarze Regimenter auf. Weil der Sold geringer war als für weiße Soldaten – so weit ging die Gleichheit dann doch nicht, – verweigerten manche schwarze Regimenter monatelang die Entgegennahme der Zahlung.
  10. Erst am 22. September 1862 erließ Abraham Lincoln die „Emanicipation Proclamation“, die Freiheit für alle Sklaven bedeutete. Das galt aber nur für den Süden. Die Sklaven in den wackeligen Grenzstaaten der Union – Maryland, Missouri, Tennessee – blieben Eigentum. Lincoln befürchtete das Auseinanderbrechen der Union, wenn er noch radikaler agierte. Wie würde man das heute nennen? Wahrscheinlich Realpolitik.
  11. Das berüchtigste Kriegsgefangenenlager im Süden – Andersonville in Georgia – wurde von einem schweizerdeutschen Immigranten namens Henry Wirz geleitet. 13.000 Männer starben in Andersonville an Kälte, Krankheit, Unterernährung. Für einen konkreten Tag ist eine Sterberate von einem Toten alle elf Minuten überliefert.
  12. Und weil wir von Immigranten sprechen: Der bedeutendste Admiral der Nordstaaten-Flotte war David Farragut, der Sohn eines menorquinischen Immigranten.
  13. Im amerikanischen Bürgerkrieg starben mehr als 600.000 Soldaten. Besonders tragische Folgen hatte der Umstand, dass viele Einheiten speziell des Südens aus Männern desselben Dorfes oder derselben Stadt gebildet wurden. Wenn eine solche Einheit in den Brennpunkt einer Schlacht geriet und hohe Verluste erlitt, wurde von einem Tag auf dem anderen die junge männliche Bevölkerung eines Ortes ausgelöscht.
  14. Was mich besonders überraschte, war die unglaubliche Rücksichtslosigkeit, mit der Nordstaaten-General William Tecumseh Sherman (richtig, der gab dem wichtigsten US-Panzer des Zweiten Weltkriegs seinen Namen) gegen die Zivilbevölkerung vorging, um den Feind buchstäblich auszuhungern. Auch in diesem Sinn ein moderner Krieg. Der Fortschritt macht vor nichts Halt. Ein Lehrstück? Seien wir optimistisch.

Nach der Lektüre kam ich zum Schluss, dass die wichtigsten Seiten des Buchs ganz vorne sind. Dort wird deutlich, wie rasch etwas Undenkbares Wirklichkeit werden kann. Kaum jemand ahnte in den Jahren und Monaten vor Kriegsausbruch, wie sich innerhalb kürzester Zeit eine Gesellschaft ausreichend polarisieren konnte, um in eine derart blutige und brutale Auseinanderrsetzung zu schlittern. Oder hielt eine solche Eskalation für möglich. Die Politiker und Offiziere beider Seiten kannten einander, hatten in denselben Akademien studiert, waren vielfach befreundet. Es machte keinen Unterschied.