Reportage über Mallorcas berühmteste antiken Artefakte, die zur Verärgerung regionaler Nationalisten nicht auf der Insel, sondern im „Museo Arqueológico“ in Madrid aufbewahrt werden.

Man entkommt ihnen nicht. Ihre Umrisse zieren als Aufkleber die Hinterteile von Fahrzeugen, im Kulturhaus hängen Replikas und beim Dorffest Anfang September traten die Stierköpfe erstmals in Gestalt von „Giganten“ auf – das Rathaus von Costitx hatte extra einen Künstler mit deren Gestaltung betraut.

Eigentlich unnötig, denn die Vorlagen sind selber Kunst: drei Stierköpfe aus Bronze, um die zweieinhalb Jahrtausende alt, von erstaunlichem Realismus und dabei auch rätselhaft: Woher kamen sie, wer schuf sie, was bedeuten sie?

Klar ist nur, wo sie gefunden wurden, wo sie heute sind und wo sie nach Ansicht vieler Mallorquiner eigentlich sein sollten. Die Geschichte der „caps de bou“, der Stierköpfe von Costitx, ist eine der Lieblingsgeschichten der Inselnationalisten, durchaus zur Legende geeignet, ja zum Märchen, das man Kindern vor dem Einschlafen erzählt, damit sie mit rechtem Zähneknirschen von Madrid und der Zentralregierung träumen.

Wie es aber mit den meisten Geschichten der Fall ist, auf die Politiker zurückgreifen, wenn sie ein Feindbild brauchen, um mit gemeinsamer Empörung das Heimatfeeling anzuheizen, hält auch diese nur bedingt, was die Kurzfassung verspricht. Dabei muss man dem Inselrat hoch anrechnen, dass er in seiner Web so ehrlich mit dem Thema umgeht. Dort steht nämlich, worum die Festansprachen in Costitx einen Bogen machten: Dass der Bauer, der die Stierköpfe auf seinem Boden fand, dieselben um teures, sehr teures Geld zum Kauf anbot. Und dass die archäologische Gesellschaft in Palma seinerzeit das Geld nicht aufbrachte. Und dass Madrid einspringen musste, damit der Schatz nicht ins Ausland verscherbelt wurde. Von wegen Heimatfeeling.

Der Bauer fand damals auf seinem Feld nicht nur die besagten Skulpturen, sondern auch andere Artefakte und die Überreste eines Tempel (Son Corró, an der Landstraße zwischen Costitx und Sencelles, beschildert und öffentlich zugänglich). Im selben Maße, wie die Aufregung der aus Palma herbeigerufenen Archäologen anstieg, zwirbelte der listige Landwirt den Preis in die Höhe. Man würde heute gerne jene Politiker fragen, die so anrührend vom dringlichen Wunsch der Mallorquiner nach Rückkehr dieser Symbole der Inselgeschichte sprechen, wo denn die glühenden Heimatgefühle damals waren. Offizielle Sprachregelung heute: Man hatte das Geld eben nicht.

Weshalb sich die Archäologen nach erfolglosen Bemühungen, auf der Insel den geforderten Batzen Geld aufzutreiben, an Madrid wandten. Die Zeit drängte, französische Interessenten waren auf den Fund und die Verkaufsbereitschaft des Finders aufmerksam geworden, und so kam es, dass die drei Bronzeskulpturen für 3.500 Peseten für das Nationalmuseum in der spanischen Hauptstadt angekauft wurden, wo sie seither … tja, herumhängen.

Hier keimt erstmals auch beim Nichtnationalisten Verständnis für die Betreiber der „Stierköpfe go home!“-Bewegung. Senator Pere Sampol (von der linksnationalistischen PSM), eine Schlüsselfigur der aktuellen Bemühungen um die Stierköpfe, weist in seiner Eingabe im Senat auf die stiefmütterliche Behandlung hin, die diese antiken Kunstwerke seit ihrem Einzug ins „Museo Arqueológico Nacional“ erfahren haben. Es gebe keine Bibliografie zum Thema, nur gelegentliche Erwähnungen, und das Museum in Madrid hätte keine einzige Monografie oder auch nur eine Broschüre über diese Stücke verfasst, oder einen Text in einem der museumseigenen Kataloge oder Zeitschriften.

Das wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit ändern, sobald die Stierköpfe in ihr Nirwana eingehen, eine letzte Ruhestätte in einem Saal, der im Museo de Mallorca eingerichtet werden soll. Hier würden die Skulpturen auch mit jenen Funden vereint, die man 1995 bei neuerlichen Ausgrabungen in Son Corró machte.

Nach jahrzehntelangem Widerstand – Madrid fürchtet den Präzedenzfall – kommen von der Zentralregierung gemischte Signale. Kulturminister César Antonio Molina teilte vor etwa einem Jahr Sampol mit, die Rückkehr der Stierköpfe sei prinzipiell denkbar. Mit seiner Eingabe im Mai dieses Jahres hat der mallorquinische Senator den Prozess in Gang gesetzt, der prompt darauf ins Stocken geriet. Angeblich stehen der Rückgabe rechtliche Probleme entgegen.

Sollte dieser vierte offizielle Vorstoß in dreißig Jahren nun doch erfolgreich sein, steht die Rückzahlung der damals von Madrid ausgelegten 3.500 Peseten (inflationsbereinigt eine schöne Summe, 1894 musste ein Landarbeiter um die zehn Jahre lang dafür schuften) nicht zur Debatte, denn administrativ gehört der Fundus des Museo de Mallorca dem spanischen Staat, wenngleich seine Verwaltung der autonomen Region der Balearen übertragen ist.

Mit den Stierköpfen strebt Mallorca auch die Rückgabe von Gegenständen an, die dem Mallorca-Eroberer Jaume I gehört haben sollen, konkret seine „mythischen Waffen“, derzeit unter Verwahrung der Königlichen Rüstkammer.

Die Picasso-Connection

Zwei Theorien über die Herkunft der Stierköpfe sorgen für leidenschaftliche Diskussionen. Die erste besagt, dass die Skulpturen – deren größte wiegt immerhin 38 Kilo und ist mit Ausnahme der Hörner und Ohren aus einem Guss hergestellt –auf Mallorca entstanden, wobei sogar von einem „Costitxer Stil“ die Rede ist. Eine andere Theorie verweist darauf, dass die Form der Skulpturen, speziell der abgeschnittene Halsansatz, eher eine Verwendung als Bugfigur suggeriert, und dass die Stierköpfe möglicherweise Booten oder Schiffen abgenommen wurden, die in den Küstengewässern der Insel sanken oder versenkt wurden, um danach im Tempel von Son Corró als Opfergaben dargebracht zu werden.

Ein anderer, nicht minder interessanter Aspekt ist die Bedeutung des Stiers in der mediterranen Kunst seit Anbeginn der Zeiten. Einer, der diesen ursprünglichsten Symbolen besonders hartnäckig nachspürte, war Pablo Picasso. Als im Jahr 2005 in Málaga das „Museo Picasso“ eine Ausstellung den zahlreichen Stierdarstellungen des Genies widmet, werden auch acht archäologische Stücke präsentiert, darunter der größte „Cap de Bou“ aus Costitx. Von Picasso ist bekannt, dass er lange Jahre hindurch sehr intensiv die Kunst der Antike studierte. Nicht auszuschließen ist, dass er sich dabei auch von den Skulpturen aus Mallorca inspirieren ließ. Zumal sich alle, die sie im Original betrachten konnten, über deren Qualität einig sind: Realistisch, faszinierend, rätselhaft.

Mallorca Zeitung Nr. 439, Oktober 2008