„Lauter schwierige Patienten“ von/mit Marcel Reich-Ranicky

Auf dieses Buch stieß ich durch Zufall: Ein Bekannter war verstorben, seine Bibliothek wurde zur Verteilung freigegeben. Ich war einer der Letzten, der vor dem „Entsorgen“ einen Blick auf die bereits halbleeren Regale warf. Da stand noch dieses Buch. Ich begann es noch am selben Tag zu lesen. Verschlang es buchstäblich.

„Lauter schwierige Patienten“ beruht auf einer Sendereihe des SWR. Dessen Intendant spricht mit Marcel Reich-Ranicki, dem Doyen der deutschen Literaturkritiker, über zwölf maßgebliche Autoren der deutschsprachigen Literatur, von Bertolt Brecht bis zu Thomas Bernhard. Dank Ranickis unglaublicher Kenntnisse und auch vieler persönlicher Erlebnisse mit diesen Literaten werden hier Miniatur-Biografien geboten, die aufgrund des Interview-Formats und der zahlreichen  anekdotischen Einschübe ebenso unterhaltsam wie aufschlussreich sind. Nie zuvor habe ich in so kurzer Zeit so viel Interessantes über so interessante Menschen erfahren.

Ich kann nicht einschätzen, inwiefern es hilft, selbst Autor zu sein, um die Lektüre als faszinierend zu empfinden. Vielleicht hilft es, minimal über die deutschsprachige Literaturszene des 20. Jahrhunderts Bescheid zu wissen und Bücher zu lieben.

MEIN LIEBLINGSZITAT

Im Gespräch über Thomas Bernhard sagt Reich-Ranicki: „Sie machen Literatur, sie bieten Literatur, sie verkörpern Literatur – aber lesen, was andere geschrieben haben, das tun sie nicht gern. Thomas Bernhard schrieb über andere Schriftsteller und nannte sie die schrecklichsten Schriftsteller, die schlechtesten des Jahrhunderts: Thomas Mann beispielsweise und Robert Musil. Er hat alle Schriftsteller beschimpft.“

NEBENBEI ERWÄHNT

Die im Lieblingszitat aufgestellte Behauptung wiederholt Reich-Ranicki auch in anderen Zusammenhängen mehrmals in diesem Buch: Dass Schriftsteller grundsätzlich eifersüchtig auf andere Schriftsteller sind. Dass man ein gesundes Ego braucht, um Erfolg zu haben, ist offensichtlich. In Woody Allen’s „Midnight in Paris“ fragt ein unbekannter Autor den jungen Ernest Hemingway, ob ihm ein übergebenes Manuskript gefallen habe. Hemingway sagt: „Ich hasse es“.  Als sich herausstellt, dass er es gar nicht gelesen hat, erwidert er: „Wenn es schlechter als meine Schreibe ist, hasse ich es. Und wenn es besser ist, dann erst recht.“