Fort Marlborough in Mahón: Eine Festung, die eine den Hafen schützende Festung schützt

Wie sich die Gegend rund um die menorquinische Hauptstadt Mahón allmählich mit Verteidigungsanlagen füllte, ist leicht nachzuvollziehen. Nehmen wir an, Sie sind Feldherr und bauen eine Festung. Sie fühlen sich zunächst sicher, aber dann entdecken Sie in der Nähe ein Gelände, von dem Sie sagen: Wenn dort derFeind steht, hat er mich an den Weichteilen. Also bauen Sie dort eine zweite Festung. Die ist wiederum von woanders bedroht, also bauen Sie dortanders eine dritte Wehranlage. Aber auch die hat eine verwundbare Flanke, also lassen Siewieder Gräben ausheben und Schutzmauern mauern und Kanonen aufstellen.

So kann das nicht ewig weitergehen, weil der Finanzminister meckert, aber je wichtiger dieGegend, wo die Festung steht, umso mehr Geld wird in so ein Unternehmen gepumpt. Mahón ist bekanntlich der größte Naturhafen des Mittelmeers. Spielend kann dort eine ganze Flotte überwintern, übersommern oder übersonstwas. Werimmer Menorca in Besitz hielt – Araber, Katalanen, Engländer, Franzosen,Spanier – fühlte sich beim Betrachten des Geländes unsicher und befahl den Bau einer weiteren Festung, um die verwundbare Flanke der bereits bestehenden Wehranlagen zu schützen. So zieht sich eine Kette immer kleiner werdender Festungen durch die ganze Umgebung des gigantischen, fjordähnlichen Naturhafens.

Ein Glanzstück stellt das Fort Marlborough dar. Weil es regelrecht aus dem Fels herausgehauenwurde, waren alle Versuche, es zu demolieren oder in die Luft zu sprengen, zum Scheitern verurteilt. Die weitaus größere Festung San Felipe, deren verwundbareFlanke Fort Marlborough schützen sollte, haben die Spanier Ende des 18. Jahrhundert gegen den heftigen Protest der Mahonesen zerstört.

Marlborough Country ist heute an Friedlichkeit kaum zu überbieten. Die winzige Siedlung Cala San Esteve, die zu Es Castell gehört (früher Georgetown), besteht aus einer Reihe gepflegter Häuser an türkisblauem Wasser, in dem Sportboote und Yachten dümpeln. Der kleine Fjord trennte die Festung San Felipe von einem Gelände, das ein britischer Stratege namens Sir John Churchill, Graf von Marlborough, infolge sachkundigen Muffensausens als bedrohlich erkannte. Also schickte er seine Ingenieure los und befahl ihnen, ein für die damalige Zeit supermodernes Fort zu errichten. (Und weil auch dieses wieder eine bedrohte Flanke hatte, kam noch das Stuart-Schutztürmchen dazu. Bestimmt hatte auch das eine schwache Stelle, nur ging den Militärs an diesem Punkt das Geld aus).

Fort Marlborough musste sich in seiner 300-jährigen Geschichte einiges gefallen lassen. In den unterirdischen Galerien wurden Champignons gezüchtet und in manchen Teilen nisteten sich Bewohner ein, was angesichts des Charmes der Anlage nur durch eklatante Wohnungsnot zu erklären ist. Sogar als diskreter Müllplatz musste das Fort in seiner Geschichte herhalten. Heute ist die restaurierte historische Befestigung ein Hi-Tech-Museum mit einem Hologramm, einem ausgeklügelten, fünfsprachigen, sensorgesteuerten Lautsprechersystem und einem respektablen Einführungsvideo. Am Tag meines Besuchs war dieStromversorgung die schwache Stelle des Forts, also ging das freundliche Personal mit dem Eintrittspreis runter und schickte mich mit der Warnung, einige der elektrisch betriebenen Attraktionen könnten ausfallen, auf den Weg.

Fort Marlborough ist eine kleine, familiäre Angelegenheit. Seinerzeit verschanzte sich darin ein Hauptmann mit nur fünfzig Infanteristen und fünfzehn Kanonieren, und war dank der genialen Anlage der Festung in der Lage, ganzen Heeren dieZunge zu zeigen. Zweimal hatte das Trüppchen dazu Gelegenheit: 1756, als Richelieu den Laden aufmischte (Menorca blieb sieben Jahre in französischem Besitz), und 1781, als die Spanier landeten. Fort Marlborough schlug sich beide Male tapfer, jedoch vergebens. 1781 wehrten sich die Marlboroughianer immerhin so tapfer, dass die Spanier der Besatzung erlaubten, mit Waffen und Trommelschlag vor den Siegern vorbeizudefilieren. Eine Niederlagenparade vom prächtigsten. Im 18. Jahrhundert waren Kriege eben noch Massaker unter Gentlemen.

Das herausragende Merkmal am Fort ist, dass es kaum herausragt. Von außen ist überhaupt kaum was zu sehen, erst die Vogelschau offenbart einen breiten Graben, der siebeneckig um ein zentrales Bauwerk verläuft. Wichtige Teile der Festung liegen unter der Erde, und zwar außerhalb dessen, was aus der Vogelperspektive wie die äußere Begrenzung des Forts aussieht. Ein in den Felsen genagter Stollen verläuft also rund um den Perimeter und Schießscharten verschafften seinerzeit Eindringlingen das ultrakurze Aha-Erlebnis, von hinten abgemurkst zu werden, wo man den Feind gerade noch vor sich wähnte. Aber das ist nicht alles: Von diesem Stollen geht es in unterirdische Quartiere und Lagerräume, und daneben streben unsichtbar und unterirdisch die sogenannten “Gegenminen” sternförmig auseinander.

Gegenminen beleuchten einen gespenstischen Aspekt des Festungskriegs, der noch im Zwanzigsten Jahrhundert aktuell war. Fand ein Belagerer die Aufgabe, überirdisch anzugreifen, zu mühsam, versuchte er es eben unterirdisch, indem er Stollen an oder unter die Festung graben ließ, und wenn er am gewünschten Ort angelangt war, mit Sprengstoff anfüllte und die Lunte zündete. Auf diese Weise wurden in den Gebirgsschlachten des Ersten Weltkriegs ganze Bergkuppen aus dem Alpenpanorama radiert. Das Gegenmittel zu dieser Taktik waren die Gegenstollen. Marlborough hatte diese in weiser Voraussicht anlegen lassen. Mit ihren Verästelungen bildeten sie einen unterirdischen Verteidigungskranz, der alle Wühlarbeit des Feindes zunichte machte. Sobald die Fortbesatzung die Belagerer schaufeln und schaben hörte, räumte sie die Gegenmine, die dem Feindstollen amnächsten lag, mit Schießpulver an und hielt sich anschließend fest die Ohren zu.

Er war schon ein smarter Feldherr, unser Marlborough. In Frankreich inspirierte er sogar ein Kinderlied, dessen übersetzte Form bis heute auch in Spanien populär ist und denSpitznamen des Grafen musikalisch verewigt hat: “Mambrú zieht in den Krieg,…” (“M ambru s’en-va-t’en guerre, …”).

Mallorca Magazin Nr. 95, März 2002