Reportage über die Nationalratswahlen 1986 in einem winzigen Bergdorf, dessen Pfarrer im Ruf stand, bei seinen Predigten Wahlempfehlungen auszusprechen.

 Am frühen Morgen pflügt ein einsames Wählerlein auf der tief verschneiten Autostraße Richtung Damüls. Politisch ist der 1428 Meter hoch gelegene Ort schnell beschrieben: Zwei Kommunisten, zwei Alternative, 174 ÖVP-Wähler (Stand 1983) sowie ein Pfarrer, der nicht gerne Journalisten dabeihat, wenn er am Wahltag seinen Schäfchen predigt.

Das einsame Wählerlein ist „sHeinrichle“, 84 Jahre alt und einer der Ersten im Wahllokal. Dieses ist im Gemeindeamt eingerichtet, als „Wahlzelle“ hat Bürgermeister Gustav Madlener sein eigenes Büro zur Verfügung gestellt. So darf im Lauf des Wahl-Vormittags jeder Damülser einmal am Bürgermeistertisch sitzen. Manche kosten das offenbar aus. „S’Josefle macht an Hufa Krüzle, der kunnt jo gär nümm usse“, vermutet ein Wartender.

Die FPÖ hat hier 1983 eine einzige Stimme gemacht, gestern waren es genau 26mal soviel. Die SPÖ konnte sich über zehn Kreuzchen freuen (heute fünf). Und während Österreich gestern einen Wahlkarten-Rekord erlebte, hat Damüls seinen schon lange hinter sich. 1983 wählte knapp ein Drittel der Damülser mit der Karte: die Bürgermusik war auf Exkursion …

Am Sonntagvormittag hat sich über all die politischen Farben jene der Unschuld gelegt: weiß. Der ganze Ort ist tief verschneit. In der Kirche oberhalb des frisch renovierten Gemeindeamtes trudeln verspätet zum Hochamt jene Gläubigen ein, die vor der Messe in den großen Wähler-Stau gerieten.

In seiner Predikt vermeidet Reinold Simma die Politik penibel. Bloß am Schluß fügt er an, man solle gewissenhaft wählen. Und man müsse vor Gott und seinem Gewissen verantworten, donnert er, ob man „Mörder wähle oder die anderen“. Ein Zornausbruch zum Thema Abtreibung?

Nach der Messe der große Ansturm aufs Wahllokal. „Döt ini, abr flott!“ wird ein zögernder Wähler ins Bürgermeister-Büro geschickt, um das Wahlgeheimnis zu wahren. Bald haben alle 207 ihre Kreuzchen gemacht. Das Wahllokal ist leer, das Jaßlokal voll. Und die Karten sind frisch gemischt. Hier wie dort.

Neue Vorarlberger Tageszeitung, 24. November 1986