Mit scharfer Würze und Witz

Eine niederländische Versicherungsdetektivin, ein Hauptschauplatz Mexiko, ein Nebenschauplatz Libanon und ein Bregenzer Autor ergeben zusammen einen nur äußerlich ungewöhnlichen Thriller. Die Ingredienzien dieses Genres sind – so scheint es – ubiquitär (ein wenig hochtrabend gesagt): geheimnisumwittert, spannungsgeladen. So gesehen nichts Neues, auch hier nicht auf satten 421 Seiten. Auch die Sprache wie gehabt: knapp und dann wieder in unzähligen meist deftigen Vergleichen wuchernd. Was soll man sagen, kraft voll, saftig, wie zu erwarten.

Und die merkwürdige Mischung Mexiko-Libanon-Vorarlberg hat eine fast enttäuschend simple Erklärung: der Autor hat sowohl in Mexiko als auch im Nahen Osten journalistisch gearbeitet. Seltsam ist vielleicht nur, dass die gute Ortskenntnis des Autors nicht wesentlich zu Buche schlägt, es sei denn für den Autor selbst, der daraus seinen Nutzen zieht. Immerhin durchmißt die Heldin (im Verlauf der Handlung und zahlreicher Rückblenden in deren Geschichte) mit einer Sicherheit selbst untouristische Räume, die mehr als nur geographische Kenntnisse erheischen. Für den Leser ist diese Souveränität einerlei. Die läßt ihn auch jeder James Bond-Film erleben, ob die Orte nun Istanbul oder Rio heißen. Die Gesetze des Genres bleiben die gleichen, in Gunkelgrün wie in Shanghai.

Da nützen dem Autor die bestgemeinten Erklärungen in Sachen Kulturgeschichte des jeweiligen Landes nichts, und seien sie noch sooo profund! Eigentlich sind sie Ballast. Auch dort noch, wo der Autor – wie in diesem Fall – die Fallgeschichte mit der Kulturgeschichte des Landes verquickt. Anders gesagt: Niemand wird Mexiko nach der Lektüre der Kaktuspflückerin besser verstehen als zuvor.

Kitzel der Imagination

Das Genre lebt von einer spannenden Fiktion, vom Kitzel der Imagination. Und die schert sich einen Teufel drum, welche Details real sind und welche nicht. Realität oder die Vermittlung von Wissenswertem sind nicht das Kriterium.

Trotzdem kann man mit dem Genre innovativ umgehen: fast bis zur Unkenntlichkeit umgemodelt von so manchem „nouveau roman“ oder bis ins Surreale verzerrt bei Queneau oder Vian etwa. ABER: Auch Thomas Fitzners Kaktuspflückerin hat mehr als nur den geschickten, sachkundigen Umgang mit der Konvention zu bieten und zwar im Umgang mit seiner Heldin. Da ist tatsächlich mehr als nur der Geschlechtertausch, das modische Geplänkel (oder Kokettieren) mit Frauenemanzipation, die Umkehrung des Klischees. Rita, ehemals in der Branche als die „Füchsin“ tituliert, bleibt kein Abziehbild männlicher Genre-Phantasie, nicht einmal in der Umkehrung: Sie ist alles andere als attraktiv, sie wirkt eher ältlich, sie verbrennt sich nicht nur an der Sonne, sie tappt auch „ganz normal“ im Dunkel. Kurz: Sie ist nicht einfach die Frau Antiheld nach dem Motto „minus mal minus gibt plus“.

Die Gefahr besteht, aber wer darauf achtet, wird noch hinter grobschlächtig genrehaften Passagen eine psychologische Einfühlung verspüren, die zuweilen mehr als nur überrascht. Sie zeigt Respekt und gewinnt daraus mehr als eine lebendige Protagonistin. Die Einfühlung erzeugt echte Sympathie. Und nicht nur für diese verletzte Frau, die sich unkontrolliertes Glücksempfinden versagt aus Angst weitere Verletzungen nicht mehr ertragen zu können; die Sympathie gilt auch dem Autor. Darüber vergißt man die klischeehaft markige Sprache, den kurzen sprachlichen Witz, das Stakkato-Journalisten-Deutsch. Hier geht es um mehr als eine fragwürdige political correctness.

Und was daran so angenehm und wohltuend ist: Diese Einfühlung wird uns nicht am „schau her!-Tablett“ serviert, sondern hält sich im Hintergrund. Denn im Vordergrund geht steht natürlich der mysteriöse Diebstahl eines aztekischen Monolithen und die Aufklärung eines Versicherungsbetrugs, in den höchste Kreise verwickelt sind und jede Menge anderes Personal, scharf gewürzt.

Martin Adel