Reportage über Rebecca Horns Installation „Glutkern“ in der Lonja, dem Gebäude der ehemaligen Handelsbörse in Palma de Mallorca
Am vergangenen Dienstag (24.3.) ist Rebecca Horn 71 Jahre alt geworden. Quasi zu ihrem Geburstag eröffnet die weltbekannte deutsche Künstlerin ám Freitag (27.3.) in der alten Handelsbörse von Palma – „La Lonja“ –ihre Installation „Glutkern“. Diese Meditation über das Sterben wird von Klängen begleitet, die man sich gut als Wegbegleiter ins Jenseits vorstellen kann: eine psychodelische Komposition von Hayden Chisholm für Saxofon und Obertongesang, die im selben Saal gespielt und aufgenommen wurde.
Die düstere Ästhetik des gotischen Prachtbaus, der oft für eine Kirche gehalten wird, ist ein idealer Resonanzkörper nicht nur für Chisholms Musik, sondern auch für Rebecca Horn. Die für ihre ortsspezifischen Installationen bekannte, mit Preisen überhäufte Künstlerin bezieht die Architektur umfänglich in ihr Konzept mit ein und nutzt als Erste, die diesen Raum visuell bespielen darf, zur Gänze dessen für gotische Architektur typische vertikale Qualitäten. Im Zentrum der Installation steht – und hängt – eine Skulptur, die unten die Illusion eines schwindelerregenden Brunnenschachts erzeugt und oben mit Gold und Blau eine Art Himmelstor suggeriert. In der Tiefe des Brunnens widerspiegelt sich das großartige Deckengewölbe der Lonja in mehreren Ebenen und verschachtelter Perspektive. Ein riesiger Rundspiegel auf dem Boden, der gemeinsam mit einem von der Decke hängenden zweiten Spiegel dieses Spiel der Illusionen erzeugt, ist geneigt und rotiert langsam.
Joachim Sartorius, unter anderem Poet und französischer Ritter der Künste, hat seine Beschreibung mit den Worten übertitelt: „Aus Brunnentiefe den Himmel vermessen“. Im Gespräch mit Rebecca Horn wird rasch klar, dass hier ein Landeplatz vermessen wird für den letzten großen Flug. „Natürlich beschäftigt man sich in meinem Alter mit dem Tod“, erklärt sie. Mit „Glutkern“ teilt sie ihre Vision vom Sterben mit dem Betrachter: Der Tod als „Übergangsphase zu einer anderen Schwingung des Lichts“. Die Seele wandert weiter. In ein zweites Leben? „So weit will ich nicht gehen, aber mit dem letzten Atem des Körpers ist das Leben nicht beendet.“ Eine versöhnliche und schöne Interpretation von etwas als schrecklich Empfundenem wird hier geboten. Doch wie bei allen Arbeiten von Rebecca Horn dient Schönheit vor allem dazu, den Besucher in die Nachdenkfalle zu locken und auf sich selbst zurückzuwerfen.
Feigenkaktus und Totenkopf
Denn umkränzt ist diese hohe und zugleich tiefe Darstellung unserer letzten Reise von 16 horizontal angeordneten Elementen, die Rebecca Horn „menschliche Zeichen“ nennt. Jedes dieser Elemente besteht aus einem mallorcatypischen Feigenkaktus, einer goldenen, mit Wasser gefüllten Schale und einem Gestell mit je zwei Spiegeln und einem aus Eisen gegossenen Totenkopf.
Die 16 Totenköpfe haben ihre eigene Geschichte. Auf die „Capuzzelle“, wie die Neapolitaner sie nennen, stieß Rebecca Horn, als sie 2002 für eine große Open-Air-Installation in Neapel die Katakomben der Stadt besuchte. Damals ließ sie aus der Piazza Plebiscito 333 Pflastersteine entfernen und ersetzte sie durch eiserne Abgüsse dieser Symbole des körperlichen Todes, so als brächen sie aus dem Untergrund ins Freie. In der Lonja lachen sie den Betrachter auf Augenhöhe zwischen Spiegeln an und sagen: Auch du, irgendwann.
Wobei in manchen Kulturen der Totenkopf nicht dasselbe Ekelpotenzial innewohnt wie in unseren Breiten. In Italien steht „Capuzzelle“ auch für ein traditionelles Osterrezept: Da liegt ein Lammkopf auf dem Teller, mit Augen, Ohren und Zähnen, das komplette Programm. Oder in Mexiko, auf dessen Kultur sich Rebecca Horn ebenfalls bezieht. Da werden zu Allerseelen Totenköpfe als Süßigkeiten kredenzt, sowie kleine Särge mit dem Namen des Beschenkten auf dem Kadaver.
Horns Botschaft: Auch dem Sterben kann man sich mit positivem Esprit nähern, auch Sterben kann schön sein, denn Sterben ist eine Reise, nur halt eine außerkörperliche, vertikale. Und Reisen ist immer zumindest eines: ein interessanter Ortswechsel.
Nicht nur philosophisch und künstlerisch, auch ganz praktisch bereitet sich Rebecca Horn auf diese Reise vor, von der niemand weiß, wo sie nun endet, und ob denn überhaupt. Vor wenigen Jahren nutzte sie eine Zwangsversteigerung, um das heruntergekommene Anwesen ihrer Familie im Odenwald – eine Molkerei, eine Textilfabrik, „neun Gebäude mit Flüsschen und alten Gärten“ – zu erwerben und dort den Sitz ihrer „Moontower Foundation“ einzurichten. Dort besteht nun ein Museum, in dem Werke aus ihren 45 Jahren Tätigkeit als Künstlerin ausgestellt sind. „Die Tate Modern hat 22 Skulpturen von mir, aber sie sind nie gleichzeitig zu sehen“, illustrierte sie an einem Beispiel ihre Beweggründe. „In der Moontower Foundation versteht man die Zusammenhänge.“ Das hat etwas von einem Testament.
Zum Komplex gehört auc h ein Kino, denn vor allem in ihrer Anfangszeit machte sich Rebecca Horn mit Performances einen Namen, die in Videos verewigt sind. Darüber hinaus drehte die Allrounderin einige Filme, darunter den Spielfilm „Buster’s Bedroom“ (1990) mit den Schauspielern Donald Sutherland, Cheraldine Chaplin und Martin Wuttke.
Avignon, Neu Dehli, Palma
„Glutkern“ ist eine Idee, die schon seit 15 Jahren nicht nur durch Rebecca Horns Kopf, sondern auch durch Ausstellungssäle in aller Welt geistert. „Ein wunderschöner Raum mit Kamin im Papstpalast von Avignon“, erinnert sich die Künstlerin, war anlässlich einer Kollektivausstellung zum Jahrtausendwechsel der Ort der Premiere. Maribor, Moskau und Neu Delhi waren weitere Stationen, wobei der Kern, der „Glutkern“, die einzige Konstante des Konzepts war. In den drei letztgenannten Orten umgab sie dieses zentrale Element mit abgetragenen Schuhen oder Sarong-Bündeln, Kleidungsstücken als Symbole für Heimatlose, für Menschen auf der Flucht. Auch im Martin-Gropius-Bau in Berlin war die Installation schon zu sehen, und sogar auf Mallorca, wenn auch in einer kleineren und „nackten“ Version, nämlich 2003 in der Kirche Santo Domingo in Pollença.
Die Ausstellung in der Lonja – finanziert von der Balearen-Regierung, dem Institut d’Estudis Balearics und dem deutschen Institut für Auslandsbeziehungen – stellt einen Höhepunkt von Rebecca Horns Wirken auf der Insel dar, aber auch eine Fortsetzung. Seit vielen Jahren arbeitet die Künstlerin mit dem Centre Cultural Contemporani Pelaires in Palma zusammen und unterhält enge Beziehungen zu Ben Jakober und Yannick Vu, deren Kulturstiftung in Alcúdia das Museum „Sa Bassa Blanca“ betreibt. Im Museum für Moderne Kunst Es Baluard in Palma zeigte Horn 2004 im ehemaligen Wasserspeicher „Aljub“ ihre Installation „Licht gefangen im Bauch des Wals“.
Mit „Glutkern“, zu sehen bis 1. Oktober, konsolidiert sich der Status der Lonja als einer der selektivsten Kulturschauplätze der Balearen: Seit 2001 waren hier Ausstellungen, Installationen und Darbietungen unter anderem von Miquel Barceló, Fabrizio Plessi, Bernardí Roig und – zuletzt – Christian Boltanski zu sehen.
Hayden Chisholms Obertöne
Zu mehreren von Rebecca Horns Filmen hat Hayden Chisholm die Musik gemacht. Als die Künstlerin 2008 für die Salzburger Festspiele Salvatore Sciarrinos Oper „Luci mie traditrici“ inszenierte und die Bühnenbilder schuf, arbeitete er an ihrer Seite. Seit mehr als zehn Jahren ist der 39-jährige Neuseeländer auch Rebecca Horns erste Wahl,wenn es um die klangliche Ausgestaltung ihrer Installationen geht.
Chisholm ist für seine Vielseitigkeit und den Hang zum Außergewöhnlichen bekannt. Mit der Komposition für „Glutkern“ bedient er zwar punktgenau das Klischee der „Sphärenmusik für eine Kunstinstallation“, doch dahinter stecken soviel Talent und Können, dass daraus keine Parodie wird. Seine Kategorie hat Chisholm in unterschiedlichster Form bewiesen: Begleitet von Streichern des Leipziger Gewandhausorchesters zeigte er, warum er als eine der Galionsfiguren des„neo-coolen Jazz“ gilt. Auch als Interpret zeitgenössischer Klassik, Komponist (deutsches Schauspielhaus) und musikalischer Festivaldirektor (Earth Festival, Kenia) bewies er Klasse.
Für „Glutherz“ griff Chisholm auf nicht nur auf sein Saxofon, sondern auch auf eine Stimmtechnik zurück, die er im sibirischen Teil des Altaigebirges erlernt hat: Oberton-Gesang. Diese beim ersten Hinhören nahezu verstörende Klangakrobatik gehört dort zu den Ressourcen der Geschichtenerzähler, während Buddhisten sie für Rituale verwenden. Vereinfach ausgedrückt erzeugt der Sänger einen Ton, der aufgrund seiner Eigenheiten vom Zuhörer als mehrere Stimmen wahrgenommen wird und durch den Raum spukt, als käme er aus dem Nirgendwo. Diese eigentümlichen Klänge bilden einen perfekten Gegenpart zur sphärisch getragenen Saxofonmusik, und beides die perfekte Ergänzung zu Rebecca Horns Installation.
Nach seiner Live-Performance bei der Eröffnung will der in Köln lebente Musiker im Juli für fünf oder sechs Auftritte auf die Insel zurückkehren. Ansonsten wird die im selben Saal eingespielte Musik aus einer Anlage zu hören sein.
Mallorca Zeitung Nr. 777, März 2015