“Die Insel ist voller seelischer Abgründe, die viel Stoff für Literatur bieten“

IZ-Kolumnist und Buchautor Thomas Fitzner über die Chancen, auf oder über Mallorca einen Bestseller zu schreiben – und warum die Insel für satirische Romane über hier lebende Deutsche geeignet ist

Wenn es jemanden gibt, den man zum Thema „Deutschsprachige Literatur auf Mallorca“ befragen muss, dann ist das sicherlich Thomas Fitzner. Der seit 1995 auf der Insel beheimatete Österreicher und IZ-Kolumnist veröffentlichte bereits mehrere Romane und Buchtitel, die auf Mallorca spielen oder darüber handeln. Der heute in einem internationalen Steuerbüro in Palma arbeitende Journalist und Buchautor gilt als – auch wenn sich das billig anhört – Kenner der mallorquinischen Literaturszene.

Ist Mallorca als Schauplatz für einen Bestseller nicht geradezu prädestiniert?

Mallorca ist für literarische Meterware prädestiniert. Bestseller sind normalerweise etwas Überraschendes, aber Leser von Mallorca-Büchern wollen nicht substanziell überrascht werden. Der Trick besteht darin, die Handlung auf Mallorca spielen zu lassen, das aber geheim zu halten. Auch vor dem Verlag. Am besten auch vor dem Leser. Dann könnte ein Bestseller draus werden.

Ist das Klischee der Urlaubsinsel in Deutschland nicht eher hinderlich für einen „Mallorca-Roman“?

Das Klischee weniger als der Name der Insel selbst. Der ist entweder mit Ballermann-Gaudi oder mit dem „authentischen Mallorca“ verbunden. Um außerhalb dieser beiden Schubladen ein Buch zu platzieren, muss man schon einen sehr starken Namen haben.

Welches Genre passt am besten zur Insel: Sachbuch/Reiseführer/Krimi/Liebesroman/Science Fiction …?

Auf diese Frage kennen die Marketing-Algorithmen der Verlage die einzige wahre Antwort. Als Autor ist man verwirrt. Man hört, Mallorca sei als Buchthema out, während die anderen dich mit der Pistole zwingen, Mallorca in den Titel zu setzen, auch wenn der Roman vielleicht nur zufällig auf der Insel spielt. Für mich persönlich eignet sich die Insel am besten für satirische Romane über Deutsche, die einer falschen Vorstellung von Paradies aufsetzen. Aber das ist jetzt sehr subjektiv, weil ich drei solche Dinger geschrieben habe. Natürlich musste Mallorca in den Titel. Und das ist dann auch das Problem. Gnade deiner Tantiemen, wenn du nicht die Erwartungen an einen „Mallorca-Roman“ erfüllst! Vielleicht kann man die Frage so beantworten: Mallorca eignet sich besonders für Autoren, die gerne in einer Schublade zu Hause sind. Was die dann schreiben, ist eigentlich egal. In zehn Jahren werden Mallorca-Romane ohnehin von Künstlicher Intelligenz verfasst. Dann müssen sich die Verlage nicht mehr mit Autoren streiten, die mal etwas anderes bieten wollen.

Welches auf/um oder über die Insel handelnde Buch hat Dich bisher am meisten fasziniert?

Wenn ich jetzt sage: „Die Insel des zweiten Gesichts“, höre ich schon: Na klar, du Super-Intellektueller! Aber der Roman gilt zu Recht als eines der Meisterwerke der deutschen Literatur. Anfangs mühsam zu lesen, weil Thelen in einem Stil schreibt, den heute kein Lektor mehr verzeihen würde. Wer sich darauf einlässt, wird reicht belohnt. Sehr unterschätzt wird auch ein Buch von Axel Thorer mit dem schrecklichen Titel: „Dass ich sie ermordet habe, daran ist meine Frau ganz alleine schuld“. Der Text basiert auf Interviews mit einem Mallorca-Deutschen, der mit seiner Frau in einem paradiesischen Chalet wohnte und sie eines Tages umbrachte, nur weil sie ihm auf die Nerven ging. Die Insel ist voller seelischer Abgründe, die viel Stoff für Literatur hergeben, aber der Markt mag lieber „cozy crime“. Als ich mal eine Idee für einen Anti-Mallorca-Roman vorbrachte, war die Reaktion, als wollte ich eine Parodie auf den Koran schreiben.

Wie beurteilst Du die deutschsprachige Literaturszene auf Mallorca?

Eine Szene in dem Sinn gibt es nicht, weil die Deutschen bzw. Deutschsprachigen Individualisten sind und keine Vereinsmeier wie zu Hause. Man sieht eher, dass einige Deutschsprachige bei der sehr lebendigen mallorquinischen Szene andocken wie zum Beispiel Sabine Schiffner. Die deutsche „Szene“ ist eine Unzahl von Inselchen auf der Insel, die von relativ kleinen Gruppen gebildet werden. Das erklärt auch, warum zum Beispiel der Autorensalon in Will Kaufmanns Kulturfinca trotz all der Jahre des Bestehens eine sehr intime Angelegenheit geblieben ist. Andererseits: Wenn ich für mein Seelenheil dringend eine potente deutschsprachige Szene brauche, sollte ich vielleicht die Wahl meines Wohnortes hinterfragen.

Inselzeitung Mai 2021 – Andreas John

IZ-Interview 05 2021