Die Gärten von Alfabia (Mallorca) spielen zwar eine Schlüsselrolle in meinem Beitrag zum geplanten Buch „Schaurige Orte auf Mallorca – unheimliche Geschichten“ des Gmeiner-Verlags, doch Alfabia ist vor allem anderen idyllisch. Daher habe ich – als Gegengewicht quasi – auf meinem Youtube-Kanal ein kurzes Idylle-Video der Gärten gepostet. Die Losung auf der Rückseite der Sitzbank, die am Ende zu erkennen ist, bedeutet: Kein Besuch ohne Kuss.
HIER geht es zum Video.
Und im Folgenden der Text einer Reportage, die ich vor mehr als 20 Jahren über dieses Landgut schrieb:
Es gluckert und rauscht und bimmelt und brüllt – Entdeckungen in Alfàbia
Das “Gluckern” ist, wenn man den Mallorca-Reisebüchern Glauben schenkt, eine der Hauptattraktionen von Alfàbia. In diesen Gärten, die unweit des Südeingangs zum Sóller-Tunnel liegen, soll es allenthalben “gluckern”. Nach eineinhalb Jahren Dürre auf der Insel drängt sich ein akustischer Lokalaugenschein auf. “Gluckert” es noch immer?
Tatsache ist, dass die Araber während ihrer Herrschaft diesen Ort wegen seiner Glucker-Zuverlässigkeit auswählten, um einen prächtigen Garten anzulegen. Am Fuß eines nahezu geschlossenen Talkessels, der sich Richtung Palma gerade so weit öffnet, um heute eine Schnellstraße und eine Bahnlinie ohne Drängeleien durchzulassen, sammelt sich das Wasser von den Bergen ringsum und sorgt für üppige Vegetation. Mit ihrer Nase für Oasen erkannten die Wüstensöhne die Möglichkeiten des Ortes. Spätere mallorquinische Besitzer haben, wenn es gerade Mode war, ihren Teil beigetragen, um Alfàbia zu einem bemerkenswerten Landgut zu machen, in dem sich die Stile mühelos vermischen.
Kaufen wir also eine Eintrittskarte bei der Kassierin, die gleich links neben dem blauen Traktor amtiert, der seinerseits daran erinnert, dass Alfàbia bis heute bewirtschaftet wird. Beginnen wir mit dem Lustwandeln. Dazu lädt Alfàbia ein, dafür wurden die Gärten vor zirka tausend Jahren angelegt. Die Wesire (arabische Vizekönige) lustwandelten hier, wenn die Hitze in Madina Mayurka, wie Palma damals hieß, unerträglich wurde. Wie heute, einem Samstag mit brennender Mittagssonne, an dem ich Alfàbia mit einem Rudel hitzefester Deutscher und Engländer teile. Nicht alle sind von ihrem Besuch begeistert. Ein empörter Angelsachse wirft gar seine Hände in die Luft, als er sich beim barocken Steintisch in einer Sackgasse wieder findet, und ruft: “It’s a joke!” Das ist wohl ein Witz!
Ich bin erst nach mehreren Besuchen dahinter gekommen, warum Alfàbia manche Gäste enttäuscht. Erstens ist dauernd von den Gärten die Rede, obwohl das im Mittelalter errichtete und mehrmals umgebaute Landgut mit seinem fantastischen Interieur einen Gutteil der Attraktion ausmacht. Zweitens hat der schönste Teil der Alfàbia-Gärten Eingangscharakter. Man hechelt also durch Laubengänge und über Treppen, um endlich zum Garten zu gelangen, dabei befindet man sich, ohne es recht zu merken, mitten im Kronjuwel der Anlage. Der Weg ist das Ziel, auch und gerade in Alfàbia.
Schon vor der Kassierin mit ihrem blauen Traktor durchschreitet man gemächlich eine Platanenallee, an deren Ende eine der ungewöhnlichsten Landgutfassaden Mallorcas zu sehen ist. Nach Kassierin/Traktor geht es über die Palmenstiege, eine sanft ansteigende Terrassenallee, deren Wasserkanäle – Gluckertest erster Teil – heute nicht gluckern, sondern nur angefeuchtet vor sich hinmodern. Ganz am Ende krallen sich zwei Löwen an ihre Podeste und wirken mehr durstig als bedrohlich (oder ist das meine Fantasie?). Jedenfalls taucht hier erstmals die Frage auf: wo ist hier eine Cafeteria?
Zunächst nehmen wir mit dem “Bad der Königin” vorlieb, einem romantischen Wasserspeicher unter einem Gewölbe, “Aljub” genannt, ein Wort und eine Konstruktion arabischen Ursprungs. Dann ein schattiger Laubengang. Hier endlich gluckert und sprudelt es so richtig. Dazu rauscht der Tramuntana-Wind, bimmeln die Schafglöckchen und tönt aus der Ferne das Verkehrsgebrüll Richtung Tunnelröhre. Hier wird der Gast in kernigstem Mallorquinisch aufgefordert: PUSH. Und wenn er den Knopf dann gepusht hat, setzt sich eine diskrete Pumpe in Gang und der untere Teil des Laubengangs verwandelt sich für ein paar Minuten in eine Laubendusche.
Wasserspiele aus dem 18. Jahrhundert. Nun ist der Steinweg nass und glitschig und mehr eine Teststrecke für Camper als eine Touristenattraktion. Vorsichtig schlurfen zwei Pensionisten über den delikaten Abschnitt und breiten die Arme aus wie Seiltänzer, um das Gleichgewicht zu halten. Fehlt nur, dass ein Testläufer der bekannten Schuhmarke auftaucht und einen Elchtest versucht.
Ich entscheide mich für die Umgehungs-Pergola und finde mich von Bougainvilea rosarot umwachsen. Linkerhand ein verschlauchter Zitrushain. Auch die Hausfassade, die an einem von vier Riesenpalmen umstellten Springbrunnen sichtbar wird, ist von Pflanzen und Leitungsrohren bedeckt. Hier allerdings besteht Alfàbia den Gluckertest mit wehenden Fahnen.
Dann in schreiendem Gelb endlich der Hinweis: BAR. Ich folge dem Pfeil geschwind wie der soeben Genannte. Doch da verkünden in weit weniger schreiendem Beige heruntergelassene Rollläden: geschlossen. Es ist Samstag, 12 Uhr, die Sonne brennt, der Garten wimmelt von durstigen Touristen, rundherum gluckert es, nur die Bar ist trocken. Diesen Gluckertest besteht Alfàbia nicht und man fragt sich, was eigentlich los ist mit der Touristenmelkmaschine Mallorca.
Nach dieser Enttäuschung wird es Zeit für einen Blick ins Haus. Vorbei an einem Ehepaar mit Offroad-Wüstendurchquerungs-Kinderwagen (die Presseberichte über die Trockenheit auf Mallorca zeigen erste Auswirkungen im Outfit) hinein in die herrlich verstaubte Bibliothek, wo mir die gesammelten Werke von Chateaubriand ins Auge stechen (langsam meldet sich auch der Hunger) und ein Schmöker namens Tausendundeine Nacht – wo, wenn nicht im ehemals arabischen Landgut Alfàbia?
Wer ein Faible für alte Ansichten hat, wird in Alfàbia glücklich. Kunstdrucke und großflächige Wandgemälde bilden eine nostalgische Galerie. Das mobiliare Kronjuwel ist hingegen ein Stuhl aus Eichenholz, den schon ein Historiker im 19. Jahrhundert als “wertvollstes und interessantestes Möbelstück der Insel” bezeichnete. Die gotische Sitzgelegenheit stammt aus dem 14. Jahrhundert, die beiden in ihre Rückenlehne geschnitzten Figuren sind vermutlich König Jaime IV und seine Schwester Isabel.
Jahrhunderte, Könige, gotische Stühle – uaah, da gähnen wir aber. Anders als die Mutter, die ihrem hyperaktiven Kind hinterherjagt, um die Kunstschätze von Alfàbia für die Nachwelt zu retten. Ich sehe die beiden nachher bei den Schafstallungen wieder, die eigentlich nicht Teil der Visite sind. Aber dort ist der Kleine glücklich. Jeder hat seine eigene Vision von Alfàbia.
Der Mutter und ihrem Turbospross ist vermutlich auch die holzgetäfelte Decke entgangen, die das Eingangstor innen schmückt und eines der wenigen und am besten erhaltenen Überbleibsel arabischer Kultur auf Mallorca darstellt. Weder der Kulturgenozid der Katalanen, noch Holzwürmer, noch Trockenheit, noch Feuchtigkeit konnten dieses Prachtstück unterkriegen, das man auf Knopfdruck (Push!) beleuchten kann.
Alfàbia ist eine nicht ganz perfekte Reise in die Vergangenheit, zu viele Schläuche und Knöpfe und moderne Beleuchtungskörper erinnern an die Gegenwart. Aber der Geruch der Jahrhunderte mischt sich in den Duft der Blüten und wenn wir das kleine Alfàbia-Heft aufschlagen (die Traktordame verkauft es für 400 Peseten), werden wir gänzlich in die Vergangenheit verfrachtet. Alfàbia ist, so heißt es dort, “eine Stunde zu Pferd von Palma” entfernt. Na dann: Hü-hott im Galopp, mein braver Fiat!