Als sich vor kurzem Frau Holle unter die Mallorca-Urlauber mischte und die ganze Insel niederschneibelte, dass es zumindest visuell eine Freude war, hörte ich im Radio ein kurioses Interview. Die Moderatorin versuchte, dem Bürgermeister von Valldemossa knackige Sätze über die Wettersituation zu entlocken. Tatsächlich war das Tramuntana-Dorf von einigen Verkehrsbehinderungen betroffen. Aber so richtig dramatisch klang das nicht. Was immer die Moderatorin fragte, es mündete stets in die Antwort: Tja, das sei alles etwas mühsam und nun räume man halt den Schnee weg.
Hörbar frustriert vom Phlegma des Dorfhäuptlings, schob die Radio-Dame die letzte verfügbare Drama-Patrone in ihren Fragen-Revolver: Ob er sich erinnern könne, jemals einen Winterwettereinbruch wie diesen erlebt zu haben.
Schlagartig wurde ich hellhörig. Nun passt aber auf, was ihr sagt, dachte ich. Denn ich habe sehr wohl einen vergleichbaren Wintereinbruch in Valldemossa erlebt. Und zwar in Madrid.
Wie das geht? Very einfach:
Vor 18 Jahren entsandte mich eine Werbeagentur zur Touristikmesse Fitur. Dort, in Spaniens Hauptstadt, hatten die Balearen-Werber einen riesigen Stand aufgebaut und inszenierten eine spektakelige Präsentation. Als Köder warfen die Verantwortlichen berühmte Namen aus: Rafa Nadal und Carlos Sainz ließen sich vom Publikum anstaunen und sagten auch was. Das Publikum bestand übrigens hauptsächlich aus balearischen Politikern, Funktionären und Journalisten. Als Messe-Neuling fand ich das seltsam. Wen wollte man denn von den Reizen des Archipels überzeugen? Doch nicht die eigenen Leute!? (Später verstand ich, dass es hier mehr um die Reize von Dienstreisen ging).
Ein Höhepunkt der Show war eine Live-Schaltung nach Valldemossa. Als die Szenerie auf der Riesen-Leinwand erschien, ging ein Raunen durchs Publikum: Die Moderatorin meldete sich aus dichtem Schneetreiben.
Obwohl das hübsch anzusehen war, fragte ich mich, ob die Touristiker mit dieser Show nicht eines der grandiosesten Eigentore in der Geschichte der Fremdenverkehrswerbung geschossen hatten. Auf Fitur wollten sich die Balearen ja weniger als Ski-Destination positionieren sondern irgendwie mehr als Sonnenparadies.
Konnte sich der Bürgermeister an dieses mitten ins Propaganda-Mekka des Tourismus gebeamte Schneewunder erinnern? Nein. Vielleicht zu jung. Die Radio-Lady sowieso nicht. Erfahrene Journalisten, die das Geschehen der letzten Jahrzehnte im kleinen Finger haben, sind ja großteils ausrangiert worden, um den Betrieb effizienter zu gestalten. Haha, haha.
So häufen sich die Jahrhundert-Hochwasser, -Stürme und -Hitzewellen, und das, obwohl die Info-Früchte heute tiefer hängen als je zuvor in der Geschichte. Aber vielleicht bin ich ungerecht und ein alter Meckersack. Schade nur, denn diese Anekdote hätte das elendsfade Interview ordentlich aufgepeppt.
Gerne stehe ich beim nächsten Jahrhundert-Schneetreiben als Gesprächspartner zur Verfügung. Aber das sage ich nur so. Wenn Mallorquiner etwas noch mehr hassen als fade Radiosendungen, dann sind das Dödel von Anderswo, die den Insulanern die Insel erklären wollen.
Kolumne in der Inselzeitung April 2023