Im Jahr 2009 gewann eine Büroangestellte auf Mallorca bei einer Online-Lotterie die unfassbare Summe von 126.231.764 Euro. Beinahe noch mehr als der Betrag an sich beeindruckte, wie die junge Frau damit umging. Am Tag des Anrufs der Lotteriefirma hatte sie sich aus Furcht vor Entlassung krank ins Büro geschleppt, war schwanger und gerade erst von ihrem Freund verlassen worden. Nachdem die Nachricht vom Supergewinn wie eine Bombe eingeschlagen hatte, herrschte absolute Stille. Nichts hörte man mehr von der Multimillionärin, über deren weiteres Schicksal alle rätselten, bis sie Jahre später der Tageszeitung El Mundo ein Interview gab. Anonym.
Warum erzähle ich das? In „Forbes“ habe ich einen Artikel über das angebliche Unglück eines Lotteriegewinns gefunden, der analysiert, wie es zu diesem Mythos gekommen ist. Zunächst spielt die Dynamik der Medien eine Rolle: Good news is bad news. Eine Reportage über einen Lottomillionär, der innerhalb kürzester Zeit seinen Gewinn verpulvert und dann im Obdachlosenheim landet, verkauft sich tausendmal besser als eine Homestory über einen, der sein Geld konservativ investiert hat, im Job geblieben ist und abgesehen von einer gelegentlichen teuren Reise und der schwer sichtbar zu machenden kompletten Abwesenheit von Geldproblemen ein unaufregendes, biederes Leben führt.
Trotzdem schwirrt eine Zahl herum: Angeblich fahren 70 Prozent der Gewinner richtig dicker Summen den Karren gegen die Wand. Genannt von einem Teilnehmer eines Symposiums der US-Stiftung für Finanzbildung (National Endowment on Financial Education) und prompt von den Medien aufgegriffen. Denn die Idee, dass ein Lotteriegewinn Unglück bringt, macht logischerweise alle glücklich, die nie einen Lotteriegewinn feiern konnten. Die Story bedient also ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Allerdings hat dieselbe Stiftung später klargestellt, dass die Aussage durch keinerlei seriöse Forschung gestützt war.
Wenn man sich diese Forschung dann genauer anschaut, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Eine Studie mit 3.000 Lottogewinnern in Schweden hat ergeben, dass sie im Schnitt noch viele Jahre nach ihrer jähen Millionärswerdung zufriedener waren als der Rest der Bevölkerung. Auch die Annahme, dass die Plötzlich-Reichen ihre bis dahin gepflegten Freundschaften einbüßen und nur noch von Parasiten umschwirrt werden, ist widerlegt. Die London School of Economics fand heraus, dass Wohlstand generell mehr Zeit für Freunde erlaubt.
Nicht einmal die Gesundheit nimmt Schaden von den grenzenlosen Möglichkeiten, das Leben zu genießen: Lottogewinner sind gesünder, leben länger und haben im Schnitt weniger Übergewicht. Das ist insofern interessant, als die Kausalität Gesundheit-Wohlstand ohne den Faktor Lotterie in beide Richtungen funktionieren kann: Schaffen es gesündere Menschen eher zu Reichtum oder verhilft Reichtum zu besserer Gesundheit?
Zurück zur unserer Mallorquinerin, deren Identität bis heute wenigen Vertrauten bekannt ist. Vier Jahre nach ihrem Lottogewinn war ihr Vermögen um 30 Millionen Euro angewachsen. Sie lebte in einem normalen Haus, fuhr ein normales Auto und genehmigte sich nur hie und da eine schöne Reise. Ich habe danach nie wieder etwas über sie gelesen. Gutes Zeichen. Aber offenbar nicht ganz so außergewöhnlich wie ich bisher dachte.
Kolumne in der Inselzeitung Mai 2025