Ein Naturparadies und der Traum eines jeden Kaffeetrinkers
Text und Fotos: Thomas Fitzner
Dass rohe Kaffeebohnen hochgiftig sind, wussten Sie wahrscheinlich. Es ist wie mit den Kartoffeln, man muss sie erst mit Hitze behandeln. Aber da enden die Gemeinsamkeiten schon, denn der Prozess des Kaffeeröstens ist eine hohe Kunst, bei der alles auf dem Spiel steht: die harte Arbeit der Pflanzer und Pflücker, das Prestige der Plantage, der Ruf einer ganzen Region.
Die Kaffeepflanzer und –röster von den Blue Mountains, den Blauen Bergen bei Kingston, sagen ohne mit der Wimper zu zucken: Unser Kaffee ist der beste der Welt, als sei das ein wissenschaftlich untermauertes Faktum. Natürlich ist alles eine Geschmacksfrage. Es gibt auch Leute, die behaupten, es gäbe schönere Berge auf Jamaika als die Blue Mountains. Aber unter uns: es sind nicht viele.
Die Blue Mountains steigen gleich bei Kingston in die Höhe, und Kingston steigt ihnen nach. Die Villen und Siedlungen klammern sich an die dicht verwachsenen Abhänge und bieten von Bergkämmen und Hügelkuppen einen fantastischen Blick auf die jamaikanische Hauptstadt.
Blaue Berge werden sie wegen des bläulichen Dunstes genannt, der sich oft in den Gipfeln verfängt. Es ist Jamaikas ältester Felsstock, 140 Millionen Jahre, hochgedrückt von der karibischen und nordamerikanischen Platte, die sich einige Kilometer darunter, tief im Untergrund der Erde, aneinander reiben. Die Blauen Berge wachsen noch immer, drei Zentimeter alle hundert Jahre.
Aber das ist nicht der Grund, warum hier der – laut Blue Mountain-Kaffeeröstern – beste Kaffee der Welt wächst (obwohl die Höhenlage damit zu tun hat). Der wichtigste Grund ist das Klima: Der Blue Mountain-Morgen, wenn der (naturblaue) Dunst über die Höhen kriecht und die Blue Mountain-Kaffeebohnen benetzt. Die kühlen Nachmittage mit der genau richtigen Mischung aus Sonnenlicht und Wolken. Der Abend, wenn die Sonne wieder herauskommt und ein Spektakel aus Lichtkränzen und Wolken veranstaltet. Die kühlen Nächte, in denen sich Dunstwaben über die Plantagen legen. Da werden die Bohnen richtig gut, sie absorbieren die Feuchtigkeit und auch der Boden ist durchtränkt, mit derart gutem Wasser, dass hier Mineralwasserfirmen die Naturquellen abzapfen.
Man muss nicht unbedingt Kaffeetrinker sein, um einen Tag in den Blauen Bergen zu genießen. Naturfreunde begeistern sich an den 500 Arten blühender Pflanzen, von denen die Hälfte nur auf Jamaika vorkommen. Der “John Crow National Park” schützt weite Flächen dieses Naturjuwels, und im “Hollywell National Recreation Park” können stadtmüde Jamaikaner in perfekt eingerichteten Picknickrevieren ihre wöchentliche Dosis Bergluft schnuppern.
Selbst wer kein Auge für die prächtige Natur der Region hat, muss nicht leer ausgehen, denn vielleicht begeistert er sich an der englisch-kolonial geprägten Architektur. Majestätisch und elegant die Anwesen der großen Kaffeeplantagen, wie Craighton House, Letzteres nicht mehr in Familienbesitz, sondern von einem japanischen Konzern aufgekauft. Doch das hat nichts am Charme der Region und am harten Alltag der Kaffee-Ernte geändert. Gepflückt wird per Hand, geröstet mit Augenmaß. Der Kaffeeröstcomputer, der den Blue Mountain-Kaffee aussticht, muss erst noch erfunden werden.
Rückfahrt nach Kingston, ein letzter Stopp auf “Strawberry Hill”, dem “Erdbeerhügel”. Tief unten die Bucht der jamaikanischen Hauptstadt, und das von den Kaffeeröstern versprochene Spektakel des Sonnenuntergangs ist in vollem Gang. Der Bergdunst ist schon im Anmarsch, nachts wird er die Kaffeebohnen benetzen. Die besten der Welt, sagen die Jamaikaner.
Riu Magazin Nr. 15, 2001