„The complete Henry Bech“ von John Updike
John Updike (1932-2009) gehört ohne den Schatten eines Zweifels zu den größten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Zwar gilt er vor allem als Porträtist der US-amerikanischen Bourgoisie des Nordostens. Doch mit brillianten Romanen wie „Brazil“ und „The Coup“ hat er bewiesen, dass er Schauplatz, Kultur und sogar das Genre mühelos wechseln kann, ohne dass seine bestechende literarische Qualität darunter leidet. Tatsächlich war Updike der erste Autor, bei dem ich spontan dachte: Genau so möchte ich auch schreiben können.
Daneben gilt er als Großmeister der Short Story. Aus Gründen, die ich nie verstanden habe, ist das Format der Kurzgeschichte bei deutschsprachigen Lesern unbeliebt, während es auf dem angelsächsischen Markt schon immer erfolgreich war. In „The complete Henry Bech“ schlägt Updike eine Brücke zwischen den Formaten. Es handelt sich zwar um eine Sammlung von Kurzgeschichten, doch der Protagonist ist in allen derselbe: Henry Bech, ein Schriftsteller und Alter Ego des Autors.
Die Figur des Alter Ego bietet enorme Vorteile, um sich als Schriftsteller auszutoben: Er schreibt quasi über sich selbst, doch indem Protagonist und Handlung als Fiktion angelegt sind, muss er sich keinen Zwang antun und kann ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten realer Personen formulieren. Diese „Lizenz zum Spott“ verleiht den Geschichten eine besondere Würze. Umso mehr, als Updike ein unglaublich guter Beobachter ist. Kein anderer beschreibt die Schwächen und Eigenheiten insbesondere „normaler Personen“ so treffend und süffig wie er.
Der fiktive und von John Updike mit einem extrem detailreichen Curriculum ausgestattete Henry Bech (wahrscheinlich wusste Updike über seine Figur am Ende mehr als über sich selbst) ist ein Schriftsteller, der irgendwann die Schwelle zum offiziellen Ruhm überschreitet – erzählt in „Bech Enters Heaven“– und sich nun mit den kuriosen Nebenerscheinungen eines Lebens als „berühmter Autor“ konfrontiert sieht. Er ist viel unterwegs, wird als Fahnenträger der US-Kultur oft auf Reise geschickt, wird von Botschaftern an die Hand genommen und von heimischen Offiziellen hofiert. Was dabei geschieht, ist umso amüsanter, als Bech im Grunde seines Herzens ein Skeptiker bleibt und Schwierigkeiten hat, sich in seine neue Rolle zu fügen.
Die wahrscheinlich bekannteste von Updike geschaffene Figur ist Henry Angstrom („Rabbit“), der in fünf Romanen die großen und kleinen Katastrophen des Bürgertums in New England durchleidet. Für eines dieser Bücher erhielt Updike den Pulitzer-Preis.
MEIN LIEBLINGSZITAT
Bei seinem offiziellen Besuch in der kommunistischen Tschechoslowakei, beschrieben in der Kurzgeschichte „Bech in Czeck“, besucht der Autor mit dem US-Botschafter ein beliebtes Restaurant in Prag. Als sie gewarnt werden, dass mehrere Busse voller deutscher Touristen erwartet werden, ziehen sie sich in einen getrennten Bereich zurück. Es hilft nichts – bald zittert das ganze Gebäude unter den Gesängen der Deutschen. „When the united German chorus began to thump their beer mugs on the tables, and then thump the tables on the floor, circular vibrations appeared in Bech’s mug of Pilsner. The noise was not exactly menacing, Bech decided; it was simply unconsciously, helplessly huge. The Germans in Europe were like a fat man who seats himself, with a happy sigh, in the middle of an already crowded sofa.”
NEBENBEI ERWÄHNT
Ein klassischer Fall von „Sex sells“: An Updike lässt sich beobachten, wie die Behandlung eines Tabu-Themas die Berühmtheit fördert. Natürlich hatte dieses Genie seinen Ruhm verdient, doch zum „Household Name“ wurde Updike vor allem, weil er u.a. in seinen „Rabbit“-Romanen die sexuellen Eskapaden der etablierten Mittelklasse beschrieb. Die gelegentliche Affäre wird in einer Welt der Wohlstands-Routine zum Motivationsspender. Updike erspürte früher als andere die Identitätskrise der westlichen Zivilisation und handelte sie am Beispiel von Henry „Rabbit“ Angstrom ab. Sein Verdienst ist nicht, explizite Sexualität als Thema aufgegriffen zu haben, sondern sie nicht auszusparen. Sie ist in allen seinen Werken präsent, jedoch nie als Selbstzweck.