„Ten Novels and Their Authors“ von William Somerset Maugham
Zwei Anekdoten zu diesem Autor, einem der bedeutendsten der angelsächsischen Literatur. Vor 20 Jahren besuchte ich eine große Buchhandlung in Dublin und fragte eine Angestellte, ob sie Bücher von William Somerset Maugham vorrätig hätten. Die junge Frau setzte sich an einen Computer und fragte mich, wie man diesen Namen buchstabierte. In diesem Moment begann ich an den Grundfesten der westlichen Zivilisation zu zweifeln, auch war es die Geburtsstunde eines Buchprojekts – noch unverwirklicht – über die verheerenden Auswirkungen der neuen Technologien auf die Allgemeinbildung. Eine irische Buchhändlerin, die nicht weiß, wie man Somerset Maugham schreibt!
Der zweiten Anekdote verdankt dieser Artikel seine Überschrift. Als ein britischer Poet und sein katalanischer Übersetzer, die sich zur gemeinsamen Bearbeitung eines Buchprojekts nach Mallorca zurückgezogen hatten, unser Haus besuchte, entdeckte der Dichter in meiner Bibliothek eine Reihe von Maugham-Büchern und merkte an: „He talks like a club bore, but you simply can’t put it down“.
Ich fand das eine gute Beschreibung. Die unaufgeregte, präzise und immense gepflegte Schreibe von Somerset Maugham zieht den Leser in ihren Bann. Warum ich nun ausgerechnet eine Sammlung von Literaturkritiken gewählt habe und nicht einen seiner Romane oder exquisiten Kurzgeschichten-Sammlungen hat den folgenden Grund: In „Zehn Romane und ihre Autoren“ beschreibt Maugham (1874-1965) zehn Exponenten der Weltliteratur und ihr jeweils wichtigstes Buch. Naturgegeben handelt es sich um Klassiker. Der Witz daran: Maugham kniet vor diesen Werken nicht nieder. Er schildert deren ungemein interessante Entstehungsgeschichte und liefert dann eine Rezension. Für einen Schriftsteller ist es faszinierend zu sehen, wie er an jedem dieser Werke immer auch etwas auszusetzen fand. Klassiker mit Schwächen! „Ten Novels…“ ist ein Lehrbuch darüber, was einen exzellenten Roman ausmacht und welche Fehler der Autor vermeiden sollte. Verfasst von einem echten Gran Maestro.
Bezüglich „Tom Jones“ sagt Maugham über die merkwürdige Idee von Henry Fieldings, jeden Abschnitt mit einem Essay zu beginnen: „You don’t care about the author, he is there to tell you a story and introduce you to a group of characters” Mit anderen Worten: Seine Gelaber darüber, wie er die Welt sieht, hätte sich der gute Henry sparen können.
An „Le Rouge et le Noir“ bekrittelt Maugham, dass der Protagonist Julien an einer wichtigen Stelle des Romans „out of character“ agiert. Über den Autor von „Le Père Goriot“ merkt er an: „Balzac was not a writer who knew what he wanted to say from the start“. Dann liefert er eine faszinierende Beschreibung der Produktionsmethode dieses Literaten, der den Herausgeber und die Druckerei mit seinen hunderttausend Änderungen zur Verzweiflung brachte. Und fügt an: „Balzac started his novels slowly. A common method with him was to begin with a detailed description of the scene of action. He took so much pleasure in these descriptions that he often tells you more than you need to know.”
Das Dilemma der Erzählperspektive verdeutlicht Maugham anhand eines Schwachpunkts in „David Copperfield“ von Charles Dickens: „The scene affords a good example of how the method of writing a novel in the first person may result in the narrator being forced into a position so shockingly false, so unworthy of a hero of fiction, that the reader is justly indignant with him.”
Flaubert nennt er einen “Provinzler”, was der gebildete Leser an seiner Wortahl erkenne. Über Emily Brontës wichtigstes Buch sagt Maugham: “Wuthering Heights is a love story, perhaps the strangest that was ever written, and not the least strange part of it is that the lovers remain chaste.” Immerhin kommt er zum Schluss: “Wuthering Heights has great faults, but they do not matter…”
In seiner Beschreibung von “Die Brüder Karamazov” attackiert Maugham sogar Dostojewskis Prämisse, nämlich dass Leiden läutert: „So far as physical suffering is concerned, my experience is that long and painful illness makes people querulous, egoistic, intolerant, petty and jealous. Far from making them better, it makes them worse.”
Auch Tolstoys “Krieg und Frieden” bekommt eine Breitseite ab, nämlich was die Beschreibung von Napoleons Russland-Desaster betrifft: „But this long and, no doubt, necessary narrative hast he disadvantage of telling the reader, unless he is abnormally ignorant of history, a great deal of what he knows already.”
Ein einziges Buch kommt ungeschoren davon, nämlich Jane Austens “Pride and Prejudice“.
Die Lektüre von „Ten Novels…“ war nicht nur ein immenses Lesevergnügen, sondern für mich als Autor auch sehr instruktiv. Darum kann ich dieses Buch vor allem den Schreibern unter meinen Lesern empfehlen, obwohl man auch dann gut bedient ist, wenn man es beim Lesevergnügen belässt. Maugham ist eine Klasse für sich.
MEIN LEIBLINGSZITAT
Nach all den Zitaten hier mein Favorit: „… For the novel, I can never repeat it too often, is not to be looked upon as a medium of instruction or edification, but as a source of intelligent diversion.”
NEBENBEI ERWÄHNT
Der katalanische Übersetzer, der mit seinem Gast zu Besuch kam, war übrigens Victor Obiols, der vor knapp einem Jahr zu einem der ersten Opfer der Polemik um Amanda Gormans Gedicht „The hill we climb“ wurde, weil seine Haut nicht dunkel genug war.