Beim Aufenthalt in einem Fünfstern-Hotel staunte ich mir die Augen aus den Höhlen. Das Hotel war kein Traditionskasten, in dem schon Dschingis Khan übernachtet hatte, sondern eine Art Raumstation mit Bodenhaftung. Wenn ich nachts aufstand, um zu müssen, knipsten Bewegungssensoren eine dezente Bodenbeleuchtung an, damit ich in meinem beduselten Zustand nicht die Fensterfront durchbrach und einen Balconing-Zwischenfall provozierte.

Das WC war ein Wunderwerk in Design und Technologie. Düsen und Schlitze im Inneren der Fünfstern-Sanitäranlage zur Entsorgung von Michelin-Restaurant-Verdauungsrückständen suggerierten eine Unzahl von Funktionen, um das schnöde Sitzen und Bieseln und Plumpsenlassen zu einer „Experience“ zu veredeln, für die es noch keinen Namen gibt. Wie wär’s mit „Kot d’Azur“?

Leider kann ich nicht berichten, wie das denn war mit den Düsen und Schlitzen, ich hatte nämlich Angst. Während ich in der Dusche sofort mit Jucheissa die LEDs ausprobierte, damit es in fließend ändernden Farbtönen auf mich herabregnete, starrte ich im WC bang auf ein „Control Panel“ mit zu vielen Schaltflächen für ein schlichtes Gemüt wie das meine. Ich konnte lediglich ahnen, was in Gang gesetzt würde da unten, wo die sensibelsten meiner Körperteile den Ausflug an die frische Luft genossen. Schutzlos.

Da ich keine Bedienungsanleitung studieren wollte, nur um … Sie wissen schon … musste ich meine Intuition bemühen. Und die spielte mir einen Horrorfilm ein. Ich stellte mir vor, wie bei der Installation dieser komplexen Anlage ein Techniker eine Leitung falsch legt, und wie deswegen statt lauwarmem Wasser heißer Dampf aus einer der Düsen pfaucht und meinen Baumelboy in ein Grillwürstchen verwandelt. Wie ich dann dem Rezeptionisten erklären soll, was passiert ist und warum ich jetzt dringend eine Ambulanz brauche. Und wie die Sanitäter versuchen, sich das Lachen zu verbeißen und es nicht schaffen. Und einer schickt eine Whatsapp an ein Medienhaus und die Meldung macht Furore und ich werde zum Star in der Rubrik „Weltidiot des Tages“.

Nennen Sie es Kulturpessimismus oder Bimmelbammel – ich bin bisher gut damit gefahren, meinem Instinkt zu vertrauen, auch wenn ich dadurch manche „Experience“ versäumt habe.

Für das Hotel habe ich nur gute Worte. Die Leute dort haben sich intensiv um mein Wohl bemüht und es sogar geschafft, mich durch die Gesichtsmasken hindurch anzulächeln. Mit sowas wie mir konnten die Planer ja nicht rechnen. Mein einziger Kritikpunkt betrifft wieder das WC und symbolisiert den Zeitgeist: Wenn ich die Spülung betätigte (irre elegante glimmende Schaltfläche), begann in der WC-Schüssel ein Mahlstrom-Spektakel, dass ich schon fürchtete, mit hineingesogen zu werden. Die Michelin-Rückstände wirbelten toll im Kreis. Aber sie gingen nicht weg. Verblüfft erkannte ich, dass das stinknormale Klo in meinem Dorfhaus auf Mallorca diese eine und halt irgendwie nicht ganz unwichtige Aufgabe besser erledigt als das megacoole Design-Hi-Tech-WC.

Insofern ein perfektes Sinnbild für den Zeitgeist: Am wichtigsten ist die Show.

Kolumne in der Inselzeitung November 2020