„Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen

Im Geheimen (darum erzähle ich das nie) bin ich ein unheilbarer Romantiker. Daher musste ich früher oder später auf Jane Austen stoßen. Ihren bekanntesten Roman „Pride and Prejudice“ nahm ich mir jedoch erst vor, nachdem ich mir mehrmals die wunderbare Verfilmung von Joe Wright reingezogen hatte. Ich wurde so neugierig auf das zugrundeliegende Buch, dass ich nicht widerstehen konnte, als ich in meiner Münchner Lieblings-Librería „Buchhandlung am Gasteig“ eine Ausgabe im englischen Original entdeckte.

Das große Rätsel bei Jane Austen ist ja, warum ihre vor über zweihundert Jahren verfassten Geschichten in einer von postmodernen Strömungen wesentlich geprägten Gesellschaft derart erfolgreich, warum diese in einer uns so fremden Epoche spielenden Geschichten so gut gealtert sind. Vordergründig betrachtet bewegen sich ihre Figuren in einer von antik anmutenden Verhaltensregeln und starrem Klassendenken geprägten Welt. Für heranwachsende Mädchen lautet das alles beherrschende Lebensziel, die Ehefrau eines wirtschaftlich gut gestellten Ehemannes zu werden. Und den Männern regnet’s vor lauter Stolz und bemühter Würde in die Nasenlöcher.

Sieht man sich die handelnden Figuren näher an, wird es jedoch verblüffend modern. In „Pride and Prejudice“ lässt sie mit woke anmutender Geschlechter-Parität zwei lächerliche Charaktere und zwei „Böse“ auftreten, jeweils eine Frau und ein Mann. Die Lächerlichen sind Lizzies Mutter, die mit ihrem Gequassel keinen Fettnapf auslässt, und der grandiose Langweiler Mr. Collins, beide immun gegen Selbstzweifel und subtile Signale ihrer Umwelt, beide zuverlässige Lieferanten von Comedy-Elementen. Auf Seite der „Bösen“ bringen sich Lady Catherine und Mr. Wickham als würdige Antagonisten in die Handlung ein, die erste eine Machtperson, die mit Widerspruch ihre Probleme hat, der zweite ein ehrloser Hallodri.

Im Kontrast zu diesem charakterlichen Geisterbahn-Quartett suhlt sich der Leser in den menschlichen Qualitäten der beiden Hauptfiguren, die keineswegs fehlerlos sind und genau dadurch glaubwürdig wirken. Der Titel des Buches verrät ja schon zum Teil das Wesentliche der Handlung: Eine ebenso attraktive wie intelligente und eigensinnige junge Frau entwickelt eine tiefe Aversion gegen Mr. Darcy, den sie für ein arrogantes Arschloch hält und trotz dessen Reichtums zum Teufel schickt, als er ihr einen Heiratsantrag macht. Danach beginnt sie ihre Meinung über den Verehrer nach und nach zu revidieren. Moral: Der erste Eindruck stimmt meistens, aber nicht immer.

Austen nimmt damit ein Erfolgsrezept vorweg, das später in zahllosen Filmen verwendet wurde: Zwei Protagonisten, die erst furchtbar aneinandergeraten und sich dann verlieben. Die Protagonisten in „Pride and Prejudice“ sind auf ihre Weise tollpatschig und stur, aber beide zeigen eine charakterliche Größe, die den Leser für sie einnimmt. Die Unabhängigkeit und Entschlossenheit der jungen Lizzie wirkt gerade in diesem von Konventionen bestimmten Rahmen moderner, als es vor einem aktuellen Hintergrund der Fall wäre. Sie ist wohl die populärste Figur, die Jane Austen je geschaffen hat, mutmaßlich nach einem erträumten idealisierten Selbst.

Der Schreibstil erschien mir zuerst wie ein Schulaufsatz, und es ging mir mit dem Text wie Lizzie mit Mr. Darcy: Zu Beginn ließ er mich kalt. Doch allmählich passierte genau das, was in der Handlung geschah: Die Gefühle kochen allmählich hoch und am Ende brodelt es toll, was von dem epochenbedingt Unausgesprochenen eher befeuert als gedämpft wird. Vielleicht eine handwerkliche Inspiration für heutige Autoren (jaaa doch, auch für mich selbst …)

MEIN LIEBLINGSZITAT

Zu den herrlichsten Szenen des Romans wie auch des Films gehören der Heiratsantrag von Mr. Collins und seine Unfähigkeit, das von Lizzie klar ausgesprochene Nein zur Kenntnis zu nehmen. Im Buch klingt Collins’ Antwort so (Auszug): „As I must therefore conclude that you are not serious in your rejection of me, I chall chuse (sic!) to attribute it to your wish of increasing my love by suspense, according to the usual practice of elegant females.”

Das prätentiöse Collins-Gelaber alleine ist die Lektüre wert. Austen ist eine begnadete Comedy-Schreiberin.

NEBENBEI ERWÄHNT

Mich hat erstaunt zu erfahren, dass „Pride and Prejudice“ inmitten eines Kriegs entstanden ist. Das Militär spielt im Roman eine rein gesellschaftliche Rolle, etwa als eine jüngere Schwester Lizzies mit Verwandten verreist und sich in einem Regimentslager einen Offizier angelt (Skandal!), vor allem aber als Biotop des charakterlosen Offiziers Wickham. Der Krieg gegen Napoleon, der die Gesellschaft damals beschäftigt und geprägt hat, wird im Buch mit keinem Wort erwähnt. Es ist eine Welt der gefahrlosen Reisen übers Land, der prachtvollen Anwesen, der rauschenden Feste und der großen und kleinen Freuden und Leiden im Privaten. Auch die Politik spielt keine Rolle, und Wirtschaft nur insofern, als jeder potenzielle Ehepartner nach seinem Jahreseinkommen taxiert wurde. Das Nachwort von J.B. Priestley in der Penguin-Taschenbuch-Ausgabe erklärt diese Auslassung mit einer simplen Frage: Wie sollten den Leser das Erwachsenwerden und die Liebesleiden junger Menschen interessieren, wenn zur selben Zeit Tausende auf dem Schlachtfeld sterben?

Gute Frage. Eskapismus? Irgendwie ist das wohl jede Kunst mit klarem Fokus.