Nach der Eroberung Frankreichs durch Nazi-Deutschland sah es zwei Jahre lang so aus, als müsste sich Europa auf Jahrzehnte deutscher Domination einstellen. Damit erklärt sich, warum im besetzten Frankreich eine Art Normalisierung des Alltags eintrat. Das Leben ging weiter. Während einige Franzosen – und Französinnen – den riskanten Weg in den bewaffneten Widerstand wählten, machten andere ihren Frieden mit den Deutschen.
Nach der Befreiung richtete sich der Zorn der Franzosen gegen alle, die zu den Besatzern nicht auf Distanz gegangen waren. Eine besonders harte und öffentliche Bestrafung erwartete Frauen, die eine Beziehung mit einem Deutschen eingegangen waren. Kurioserweise waren Prostituierte von dieser Rache ausgenommen. Der Logik der Franzosen zufolge hatten die nur weiter ihre Dienstleistungen erbracht, genauso wie man keinen Bäcker bestrafte, nur weil Deutsche bei ihm Brot gekauft hatten.
Französinnen jedoch, die sich in einen Deutschen verliebt hatten, erwartete ein öffentlicher Spießrutenlauf. In vielen Städten bildeten sich selbst ernannte Gerichte, welche die „Huren der Deutschen“ (was sie ja eben nicht gewesen waren) verurteilten. Schätzungsweise 20.000 bis 40.000 Frauen erlitten diese Demütigung. Ihnen wurde der Kopf geschoren (daher „Femmes tondues“), man riss ihnen die Kleider in Fetzen oder komplett vom Leib, oft malte man ihnen noch ein Hakenkreuz oder einen Hitlerbart ins Gesicht, dann wurden sie durch die Straßen der Stadt getrieben, einige splitternackt, manche mit einem Baby oder Kleinkind in den Armen, wurden verhöhnt, angespuckt, geschlagen und misshandelt.
Die erhaltenen Filmaufnahmen zeigen unterschiedliche Reaktionen. Während viele die Demütigung mit gesenktem Kopf über sich ergehen ließen, gaben sich manche herausfordernd, zornig, voller Verachtung, nicht im Geringsten unterwürfig oder um Gnade flehend, als ob sie den Umstehenden – darunter Nachbarn, Bekannte, Kollegen, „Freunden“ – sagen wollten: Na, fühlt Ihr euch jetzt wie Sieger?
In „Das Geheimnis von Chateau Limeray“ spielt dieses Phänomen eine Schlüsselrolle. Heute beschäftigen sich die Franzosen kritisch mit diesem Kapitel der Kriegsgeschichte. Der Psychiater Dominique François gab seinem Buch „Femmes tondues“ den Untertitel: „Die Diabolisierung der Frauen im Jahr 1944“.
Den Kopf kahlzuscheren war übrigens kein Monopol der Franzosen, wenn es um die Bestrafung von Frauen ging. In der Weimarer Republik in den 20er Jahren konnten das auch die Deutschen, wenn ihre Frauen etwas mit französischen oder belgischen Besatzungssoldaten anfingen, und ebenso die spanischen Falangisten während des Bürgerkriegs.
Foto: Bildausschnitt “Femme tondue” in Marseille, keine Quellenangabe