Passend zum Beginn der Strandsaison leiste ich meinen Beitrag – streue ich  sozusagen mein Sandkorn – zur Entmassifizierung des Mallorca-Tourismuses. Obwohl ich am Ende Entwarnung geben kann, oder eigentlich muss, bin ich auf erstaunliche Geschichten gestoßen. Dass Steven Spielbergs Fisch-Thriller „Jaws“ einen direkten Bezug zum Mittelmeer hat, hinterließ Bisswunden in meiner ohnehin labilen Schwimmer-Psyche.

Mangels Selfies mit Haien illustriere ich dieses Posting mit einem T-Shirt, dass ich vor 30 Jahren in Mexiko gekauft habe. Unglaublich, wie lange diese Dinger halten.

Und hier mein Hai-Light:

Die wohl drolligste Mallorca-Hai-Anekdote ereignete sich auf trockenem Boden, nämlich am Flughafen Son Sant Joan. Dort erwartete der Fahrer einer Filmcrew anreisende Schauspieler und hielt ein Schild hoch, auf dem in großen Lettern der Name des Films zu lesen war, der gerade auf der Insel gedreht wurde und dummerweise lautete: „Hai-Alarm auf Mallorca“. Die anreisenden Strandurlauber waren verstört, das Schild wurde geändert. Der resultierende Fisch-Thriller hatte 2004 im deutschen Fernsehen Premiere, das Lexikon des internationalen Films urteilt: „Hanebüchener Unfug unter heißer mediterraner Sonne, grottenschlecht inszeniert, geradezu desaströs gespielt.“

Da wird man neugierig. Nicht nur auf den Film. Obwohl bekennender Strandmuffel, gerate ich mit dem Mittelmeer doch gelegentlich in Kontakt. Was treibt sich unter meinem schwimmenden Ich so alles herum? Mein Archiv verrät mir, dass das Filmmodell des Weißen Hais für den Spielberg-Klassiker einem 1987 bei Malta gefangenen Sieben-Meter-Monster nachgebaut wurde. In dessen Magen war ein kompletter Blauhai gefunden worden sowie ein in drei Stücke gebissener Delfin. Malta ist weit weg, aber doch Mittelmeer. Auch werden immer wieder Haie in den Balearen-Gewässern gesichtet und aus denselben gezogen. Der größte Fang in der Bucht von Palma gelang in den 60ern, das Biest war wohl ein Cousin des Spielberg-Hais: sieben Meter lang und zweieinhalb Tonnen schwer.

Ein weniger monströser Blauhai näherte sich im vergangenen Sommer dem strandigsten aller Mallorca-Strände, dem Arenal, und führte zum hastigen Hissen der roten Flagge. Eine gut mit mir bekannte Insulanerin dachte laut darüber nach, wie ungerecht es wäre, wenn angesichts der riesigen Auswahl alternativer Futterquellen in Gestalt gut genährter Touristen ausgerechnet ein Mallorquiner schnabuliert würde.

In einem Interview erwähnt der Ko-Autor eines Buches über Haie in den Balearen-Gewässern (Joan Poyatos: „Tiburones en el Mar Balear“) das letzte dokumentierte Opfer: Ein mallorquinischen Fischer, der bei starkem Seegang über Bord ging. Wochen später wurde sein Schuh im Magen eines Hais gefunden wurde. Das ist beruhigenderweise mehr als hundert Jahre her.

Weniger lange liegt ein Zwischenfall an einem Strand bei Valencia zurück. Im vergangenen Sommer stand dort ein Mann bis zu den Knien im Wasser, umgeben von Badenden, und spürte plötzlich einen Schlag am Bein, dann einen Biss am Fuß. Die Wunde blutete so stark, dass er einen Arzt aufsuchte. Fotos der Beißspuren wurden von Experten beäugt. Schlussfolgerung: An dem Mann hatte ein Blauhai geknabbert. Wahrscheinlich ein Junghai, der im seichten Wasser herumgekostet hat.

Dass der betroffene Strand in der valencianischen Gemeinde Oliva und somit mehr als 250 Kilometer von Mallorca entfernt liegt, hinderte das britische Massenblatt Daily Mail nicht daran, den Angriff in die Gewässer „vor Mallorca“ zu verlegen. Wir Medienfritzen wissen warum: Mallorca kriegt online mehr Klicks als Oliva.

Zum Abschluss eine statistische Beruhigungspille: Der oben erwähnte Haiologe beziffert die Wahrscheinlichkeit, im Mittelmeer von einem Hai angegriffen zu werden, mit eins zu 20 Millionen. Beunruhigend somit nur für Menschen, die sich realistische Chancen auf den Euro-Jackpot ausrechnen.

Kolumne in der Inselzeitung Juni 2024