Vor vielen Jahren war der Südlibanon mein Arbeitsplatz, genauer gesagt ein schmaler Landstreifen direkt vor der Grenze zu Israel, der als eine Art Pufferzone diente (s. Foto). Es war ein karges, hügeliges, von tiefen Tälern durchzogenes Gelände mit steinigen Anhöhen und nur wenigen ebenen Flächen. Die Ansiedlungen hatten eines gemeinsam: Sie befanden sich im Allgemeinen auf erhöhtem Boden. Ich führte das zunächst alleine darauf zurück, dass die zahlreichen Volksgruppen und Religionen dieses kleinen Landes hoffnungslos zerstritten sind und daher die Wahl des Standortes von der Überlegung geleitet wurde, wo man sich am besten verteidigen konnte. Also dasselbe Kriterium, nach dem man den idealen Platz für eine Burg sucht. Aber dann fiel mir auf, dass die Talsenken und Ebenen, in denen sich Wasser und Sedimente sammelten, den einzigen fruchtbaren Boden für Ackerbau boten. Diesen hatten die Libanesen beim Bau ihrer Dörfer stets ausgespart.
Bei meinem ersten Besuch auf Mallorca fiel mir schon beim Landeanflug auf, wie zersiedelt die Landschaft war. Das erschien mir ein gutes Zeichen: Nur in einem Land mit gesellschaftlichem Frieden suchen viele Bewohner freiwillig die Abgeschiedenheit und verzichten auf den direkten Schutz der Gemeinschaft. Interviews mit mallorquinischen Historikern öffneten mir dann die Augen für einen ganz anderen Aspekt. Bei der Arbeit für einen Artikel über die Hauptstadt der Insel zu Zeiten der arabischen Herrschaft (9. bis 13. Jh.) erfuhr ich, dass „Medina Mayurqa“ ursprünglich als Stadt der blühenden Gärten berühmt war. Sogar Weideflächen für Vieh habe es innerhalb der Stadtmauern des heutigen Palma gegeben, erzählte mir die Archäologin Magdalena Riera. Noch bis ins Mittelalter war das gesamte Stadtviertel rund um die heutige Calle Bonaire von Obstbäumen und Gemüseplantagen durchsetzt und wurde erst in neuerer Zeit zugebaut, als der Bevölkerungsdruck zu stark wurde.
Warum aber gab es gerade an diesem Ort so viele Gärten? Ganz einfach: Der fruchtbarste Boden der Insel ist – besser: war – der von Palma de Mallorca. Hier strömt Wasser aus einem erheblichen Teil der Tramuntana zusammen und hat über Jahrtausende hinweg fruchtbare Sedimente abgelagert. Auch die Universität der Insel wurde bei ihrer Verlegung in einen modernen Campus außerhalb der Stadt in einen Landstrich gesetzt, der zum besten Ackerland der Insel gehörte. Eine mächtige unterirdische Wasserader kann man heute mit eigenen Augen sehen: Im Kloster der Kapuzinerinnen im Herzen der Altstadt führt eine Treppe in den Untergrund, wo ein mit dieser Ader verbundener Hohlraum den Nonnen als Brunnen und Energiespar-Kühlschrank diente.
Wenn ich heute lese, wie abhängig Mallorca von Lebensmitteln ist, die per Schiff geholt werden müssen, und wie wichtig eine gewisse Fähigkeit zur Selbstversorgung wäre, denke ich: Das war schon cool, als die elementare Frage, wovon man sich eigentlich ernährt, nicht die geringste Rolle bei der Wahl von Bauplätzen spielte. Genauso wie viele der teilweise gigantischen unterirdischen Zisternen großer Stadthäuser mittlerweile zu Tiefgaragen umfunktioniert wurden.
Wasser haben wir ja genug, nicht wahr? Und Lebensmittel – die gibt es bekanntlich im Supermarkt.
Kolumne in der Inselzeitung März 2023