1939 beschloss Reichsführer SS Heinrich Himmler, zur Sicherung der im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht eroberten Gebiete eigene Polizeibataillone aufzustellen. Angehörige des Polizeibataillons 344 und deren Nachfahren sind die deutschen Protagonisten meines Romans „Das Geheimnis von Chateau Limeray“, das in einem französischen Weingut spielt. Als Autor bin ich erstaunt, dass eine Geschichte mit derart düsterem Hintergrund dem Echo nach zu schließen von vielen Lesern als „Feelgood“-Lektüre empfunden wird. Für mich ein Indiz dafür, dass es sinnvoll ist und keineswegs traumatisch sein muss, die Schandflecke der eigenen Geschichte zu thematisieren.
(Was von einigen – ironischerweise als „rückwärtsgewandt“ geltenden Personen –bestritten wird. Ich kann mich noch an einen Oberst des österreichischen Bundesheers erinnern, der einer selektiven Erinnerungskultur das Wort redete und als unnötig empfand, junge Menschen „mit gewissen Dingen zu belasten“. Er war übrigens die meiste Zeit besoffen und stellte nach meiner Erfahrung schon damals, vor ca. 40 Jahren, sowohl hinsichtlich des Alkoholkonsums wie auch seiner Einstellung zur Nazi-Vergangenheit eine aussterbende Minderheit dar. Klammer zu …).
Das Polizeibataillon 344 meines Romans hat es nie gegeben, doch als im doppelten Wortsinn grobes Vorbild diente das reale Bataillon 304. Es war unter anderem im Warschauer Ghetto eingesetzt und spielte danach in der Sowjetunion eine aktive Rolle im Holocaust. Die Männer dieser Truppe haben während des Krieges geschätzte 17.000 Juden und andere Zivilisten umgebracht. Sowjetische Militärtribunale verurteilen nach Kriegsende rund 90 Angehörige des Bataillons, von denen die meisten hingerichtet wurden.
Aufmerksam auf diesen weniger bekannten Teil der Kriegsgeschichte wurde ich in einer Buchhandlung in Hamburg. Dort las ich auf einem Cover: „Ganz normale Männer: Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die ‚Endlösung‘ in Polen“. Ich sah in dem Titel eine Verwandtschaft zu Hannah Arendts „Banalität des Bösen“ und fand einen Ansatz, um Angehörige eines Polizeibataillons zu wichtigen Figuren eines Romans zu machen. Die Schizophrenie zwischen den Taten einerseits und der „Normalität“ dieser Männer andererseits erzeugt ein fruchtbares Spannungsfeld für einen Fronturlaub in Frankreich. Ursprung einer Handlung, die in die Gegenwart hineinspielt: Der Eigentümer des (ebenfalls fiktiven) Weinguts erzählt bei jeder Führung über den Erholungsaufenthalt der Ordnungspolizisten. Er tut dies vor den Ruinen des Verwalterhauses, sichtbare Zeugen eines Vorfalls jener Zeit.
Obwohl der historische Hintergrund der Polizeibataillone nur angeschnitten und lediglich an einer Stelle des Romans etwas vertieft wird, habe ich zum Thema der deutschen Ordnungskräfte im Zweiten Weltkrieg recherchiert und bin auf interessante Fakten gestoßen. Berufspolizisten bildeten die Rekruten aus, die u.a. mit der Befreiung vom Wehrdienst in diese Formationen gelockt wurden. Diese Kräfte sind nicht mit der Militärpolizei zu verwechseln, die vor allem für die innere Ordnung eines Truppenverbands verantwortlich sind. Die anfangs 21 Polizeibataillone kümmerten sich um das Aufspüren versprengter feindlicher Soldaten und die Sicherheit in den Besatzungszonen. Damit ging die Partisanenbekämpfung und die „Bestrafung“ von Zivilisten einher, die Partisanen unterstützten. Auf Deutsch gesagt: Geiselerschießungen, Massaker. Und schließlich die erwähnte Teilnahme an der routinemäßigen Ermordung ganzer Bevölkerungsgruppen.
Wenn über den Zweiten Weltkrieg gesprochen wird, ist vor allem von den Schlachten und vom Holocaust die Rede. Ich halte andere Facetten für ebenso interessant und lehrreich. Wenn man sich die ungeheure Ausdehnung der bis 1943 vom Deutschen Reich eroberten Gebiete vorstellt, habe ich mich immer wieder gefragt, wie diese Regionen verwaltet und kontrolliert wurden. Klar gab es Kollaborateure, auch in Frankreich, auch in der Sowjetunion, doch herrschte Ablehnung gegen die deutsche Präsenz vor. So überrascht nicht, dass neben den erwähnten Polizeibataillonen später Regimenter und sogar Divisionen aufgestellt wurden, also Ordnungsverbände mit mehreren tausend Polizisten.
Gerade dieser wenig beachtete Aspekt der Kriegsgeschichte führt vor Augen, wie vertrottelt ein Eroberungskrieg ganz unabhängig von seiner moralischen Komponente ist. Der militärische Sieg, der zu einem Endpunkt stilisiert wird, ist erst der Anfang. Mindestens ebenso schwierig ist es, das eroberte und nun besetzte Land dauerhaft unter Kontrolle zu behalten. Ad infinitum. Das führt zu Repression und Deportation, und damit zu einer soliden und erblichen Hasskultur bei den Opfern, Nährboden für Konflikte, die kaum zu beenden sind. In diesem Zusammenhang muss als bemerkenswert erachtet werden, wie viel Positives diesbezüglich in Europa, diesem von Kriegen so oft verheerten Kontinent, gelungen ist. Und wie wenig das heute geschätzt und gewürdigt wird.