Das Gesprächsthema Alkohol erinnert mich an eine Anekdote in Eilat, ein Sonne-Strand-Paradies am Roten Meer. Als ich vor unzählbar vielen Jahren auf den Golan-Höhen Peacekeeper spielte, war das ein beliebtes Reiseziel für UN-Soldaten und auch mein allererstes. Die Lebensbedingungen im Militärlager waren gut, aber alkoholisch die Sau rauslassen konnte man nur auf Reisen. Meine österreichischen Landsleute haben dabei durchaus einen Ruf zu verteidigen. Doch die Konkurrenz vom benachbarten finnischen Bataillon war übermächtig. In Eilat erzählte mir ein Kamerad, er sei in einer Bar von drei Finnen an ihren Tisch eingeladen worden. Eine halbe Stunde lang fiel kein Wort, während ein Bier nach dem anderen die Kehle runter ging. Schließlich versuchte mein Landsmann eine Konversation anzukurbeln und fragte: „Na, und wie gefällt euch Eilat?“ Drei Paare glasiger Augen richteten sich verstört auf ihn und einer der Finnen sagte in melodiös-nordischem Tonfall: „Sind wir hier zum Trinken oder zum Quatschen?“
Als mich eine Patrouille der finnischen Militärpolizei in Israel auflas und mich freundlicherweise als Passagier zurück auf den Golan brachte, meinte ich, einen der Soldaten schon mal gesehen zu haben. Ich machte eine Bemerkung in die Richtung. Darauf er: „War ich betrunken oder im Dienst? Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten.“
An alles das musste ich denken, als ich über die 1.111 Gläser Bier las, die der Fußballverein SV Mochenwangen am Ballermann in einer einzigen Sitzung wegmachte, eine Rekordleistung, die von deutschsprachigen Medien respektvoll kolportiert wurde. Dabei kommt mir dann auch ein ehemaliger Nachbar in den Sinn, nennen wir ihn Roland, dessen drei tagaus-tagein lärmenden Fernseher mich zu einem Experten des deutschen Unterhaltungsschlager-Universums heranbildeten. Eines Tages hatte ich ein ans Tiefsinnige grenzendes Gespräch mit seiner Freundin, nennen wir sie Rosie. Auf ihren Hausgenossen angesprochen, richtete Rosie den Blick in die Ferne und proklamierte bedeutungsschwer: „Roland trinkt gerne Bier“. Sie sagte das im selben Tonfall, mit dem man sagen würde: „Roland ist Triathlet“ oder „Roland studiert alte Sprachen“. Die Auskunft selbst war überflüssig: Ein Blick auf Roland genügte, um seine bevorzugte Freizeitbeschäftigung zu erahnen.
Was mir am mediterranen Lebensstil immer gut gefiel, war die Priorität des Schlemmens gegenüber dem Saufen. Nicht dass die Mittelmeerianer Antialkoholiker wären, doch abgesehen von ritualisierten Saufexzessen auf Parkplätzen und Volksfesten hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, dass Schmausen immer noch Vorrang hat. Man beobachte nur, was sich an Buffets abspielt. Dagegen ist der Ukraine-Krieg ein Völkerball-Turnier.
In nordländischen Kulturen hingegen herrscht Leistungsdruck beim Becherheben. Ein Verwandter aus Süddeutschland vergisst bei der Schilderung gemütlicher Runden nie, die Anzahl der dabei verputzten Flaschen zu erwähnen, offenbar der ultimative Gradmesser für den Gemütlichkeitspegel.
1.111 Gläser Bier – das dürfte für die Szene nun so etwas wie der Mount Everest sein. Was auch wegen der Abstürze als Metapher ganz gut passt. Ich für meinen Teil sage lieber Salud als Prost.
Kolumne in der Inselzeitung August 2023