Im Bemühen um soliden Leser-Service ziehen wir einmal mehr den Jahresrückblick um 12 Monate vor. Anders als in den Vorjahren bemühe ich dafür keine paranormalen Fähigkeiten, sondern nüchtern wissenschaftliche Methoden, nur mal so zur Abwechslung. Für diesen vorausschauenden Jahresrückblick greife ich auf Do-it-yourself-Quantenmechanik zurück, wie man sie in Online-Kursen rasch und gratis lernen kann.

Januar: Ein Privatjet auf dem Weg nach Marokko legt in Palma eine Notlandung wegen eines angeblichen medizinischen Notfalls ein. In der Ambulanz reißt sich der scheinbar Kranke einen falschen Weihnachtsmannbart vom Gesicht und gibt sich als Altkönig Juan Carlos zu erkennen. Er bittet in Spanien um Asyl. Sein Sohn, König Felipe VI, gibt ungerührt Anweisung, seinen Vater „wieder in ein Land mit hohem Lebens- und geringem Demokratie-Standard zu bringen“. Menschenrechtsorganisationen protestieren nicht.

Februar: Der Strompreis klettert auf ein neues Rekordhoch. In Alaró wird das seinerzeit erste Dampfkraftwerk Mallorcas wieder in Betrieb genommen.

März: Das mallorquinische Schreien-im-Wirtsdhaus wird von der Unesco zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Die Geehrten erfahren davon wegen des Geschreis im Wirtshaus erst am folgenden Tag.

April: In Calvià kommt eine neue Superluxusvilla für 130 Millionen Euro auf den Markt. Der Meerblick wird durch das Wegsprengen zweier billiger Luxusvillen (einstelliger Millionenbereich) erzwungen.

Mai: Die Balearen-Regierung startet die bislang ambitionierteste Initiative gegen Billigtourismus und führt eine Sondersteuer für Billigtourismus-Gebiete ein, damit der Tourismus dort nicht mehr billig ist.

Juni: Rafel Nadal gewinnt zum 14. Mal Roland Garros. Dieses Jahr wirklich.

Juli: Die Marke „Ballermann“ gibt das längst fällige gendergerechte Rebranding bekannt und heißt nun „Ballerperson“.

August: Es ist heiß und die Insel ist voll. Dieses Jahr wirklich.

September: Der Strompreis klettert auf eine neue Rekordmarke. Fitness-Center schließen ihre Exercise Bikes ans Stromnetz an, kassieren für Bio-Strom Unsummen und gewähren eifrigen Stramplern saftige Rabatte.

Oktober: Querdenker-Demo in Palma. Die Demonstranten beklagen sich bitter, dass sie von der Polizei ausschließlich durch Querstraßen gelotst werden. Der Polizeichef löst mit seiner Antwort – „Ihr könnte mich kreuzweise“ – eine heftige Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit aus.

November: Im Parc Bit wird der „Matança-Simulator“ vorgestellt. Diese Virtual-Reality-Software ermöglicht die traditionelle mallorquinische Schweineschlachtung und Verwurstung zu Sobrassada, ohne einem einzigen Grunzer auch nur eine Borste zu krümmen. Tierschützer zeigen sich wegen der gezeigten Gewalt an Tieren kritisch und empfehlen den Konsumenten, für Weihnachten den bekannten Abknall-Spielen den Vorzug einzuräumen. Traditionalisten hingegen beharren auf der Echt- Matança – für den Simulator interessiere sich kein Schwein.

Dezember: Der Strompreis klettert auf eine neue Rekordmarke. Die Verwaltung der Inselhauptstadt beschließt, die Weihnachtsbeleuchtung nur in jenen Straßen einzuschalten, in denen alle Anrainer ihre Steuern bezahlt haben. Palma bleibt dunkel.

Kolumne in der Inselzeitung Januar 2022