Aus Yucatán Thomas Fitzner
Der Maismüller von Xul, einem kleinen Maya-Dorf im Süden Yucatáns, dachte an nichts Böses, als er ein im Wald gefundenes Bienennest im Innenhof seines Hauses aufhängte. Bis an einem Sommermorgen 1988 der Strom ausfiel und der Mann den Generator anwerfen mußte. Einige Dutzend Dorfbewohner, die Schlange standen, um ihren Mais mahlen zu lassen, machten die böse Erfahrung, daß afrikanische Bienen keinen Lärm vertragen. Eines der Opfer wurde durch 40 Bienenstiche ernsthaft verwundet, kam aber mit dem Leben davon. Einige Haustiere mußten hingegen dran glauben.
Die afrikanische Biene, von der Presse längst schon „Killerbiene“ getauft, macht vor allem durch solche Zwischenfälle Schlagzeilen.
Die Flucht der Superbiene
Das Problem nahm seinen Anfang im Jahre 1956, als ein Wissenschaftler von der brasilianischen Regierung mit einem Forschungsprogramm betraut wurde, das der brasilianischen Imkerei eine „bessere Biene“ liefern sollte. Dieselbe wurde in Afrika gefunden. Auf welche Weise dann gleich zwei Dutzend afrikanische Bienenköniginnen im Jahre 1957 aus dem Laboratorium entwischten, ist Gegenstand von Spekulationen und widersprüchlichen Berichten.
Tatsache ist, daß sich die Afrikanerin blitzschnell ausbreitete, mit alteingesessenenen Europäerinnen kreuzte und auch bald ihre hervorstechendsten Eigenschaften dokumentierte. Der spektakulärsten dieser Eigenschaften verdankt sie den Namen „Killerbiene“. Während in europäischen Bienenevölkern ein spezielles „Berufsheer“ von Wächtern über die Sicherheit des Volkes wacht, huldigt die afrikanische Biene dem Miliz-System: Jedes der Insekten wird im Notfall zum Soldaten und greift blindwütig an.
Doch neben Dramen wie jenem des unvorsichtigen Müllers hat der „Bienen-Unfall“ von 1957 auch handfeste wirtschaftliche Folgen. Besonders krass wird dies in Yucatán spürbar, wo die Afrikanerin 1987, also dreißig Jahre nach der Laborpanne von Sao Paolo, anlangte.
Die Biene der Mayas
In Yucatán nämlich hat die Imkerei jahrtausendealte Tradition. In ihrem Mittelpunkt stand die „Melipona“, eine stachellose Biene und authentische Ureinwohnerin Amerikas, deren Honig einziges Süßmittel der prähispanischen Mayas war sowie Bestandteil eines wichtigen Zeremonialgetränks, des „Bal-Che“. Die „Biene Maya“ wurde als „Xunan-Kab“ verehrt, und ein eigener Gott, „Amu-Zen-Kab“, war ihr gewidmet.
Mit der Eroberung Mexikos durch die Spanier im 16. Jahrhundert fand die Melipona-Imkerei noch lange kein Ende. Die Mayas, vor allem jene der Halbinsel, setzten den Spaniern noch jahrhundertelang kulturellen (und zeitweise gewaltsamen) Widersand entgegen. Erst zu Beginn unseres Jahrhunderts machten wirtschaftliche Argumente der alten Bienen-Kultur ein Ende, die rund zehnmal produktivere europäische Honigproduzentin trat ihren Triumphzug an.
Heute gibt es in Mexiko nur noch wenige Melipona-Kulturen, die Maya-Imkerei steht faktisch vor dem Aussterben. Victor Cámara, ein junger Bienenexperte der Universität von Mérida, setzt hingegen seine Hoffnungen auf den Seltenheitswert des Melipona-Honigs, der die geringe Produktivität der fliegenähnlichen Maya-Biene zum Teil wettmacht. Zudem, so Cámara, haben brasilianische Untersuchungen ergeben, daß der Maya-Honig medizinische Wirkungen aufweist.
Mittlerweile ist allerdings nicht nur die Melipona-Kultur, sondern auch die europäische Imkerei von Yucatán bedroht. Und das durch eine Biene, die sich äußerlich kaum von der in Amerika gut eingeführten europäischen Biene unterscheidet: die Afrikanerin.
Für die Halbinsel stellt dies eine eminente ökonomische Bedrohung dar, weil sie seit den 70er Jahren durch ein Entwicklungsprogramm der Regierung zu einer „Imker-Supermacht“ wurde. Auf Yucatán werden 40 Prozent der Gesamtproduktion des zweitgrößten Honigexporteurs (und viertgrößten Produzenten) der Welt hergestellt. Hat schon die Gesamtproduktion Mexikos an Honig seit 1983 durch Witterungsprobleme und Naturzerstörung um 30 Prozent abgenommen, so droht durch die afrikanische Biene ein weiterer Schlag gegen diesen jungen, erfolgreichen Wirtschaftszweif, von dem 50.000 mexikanische Familien abhängen.
Die Aggressivität der afrikanischen Biene hat zur Folge, daß sich süd- und zentralamerikanische Imker nicht mehr schlicht ein zweites Hemd überziehen und zur Arbeit schreiten können, sondern teure Spezialanzüge kaufen müssen. Wo die afrikanische Biene bereits dominiert, wandeln Bienenhalter wie Astronauten zwischen den in menschenleeren Regionen installierten Bienenhäusern umher. In Mexiko, wo die Imkerei als Zubrot für einkommensschwache Campesinos massiv propagiert und eingeführt wurde, steht zu befürchten, daß es noch viele Unfälle braucht, bis sich die zur Improvisation neigenden Mexikaner zu derartigen Investitionen entschließen werden.
Die Bienen-Barriere von Tehuantepec
Eine weitere Eigenschaft der Afrikanerin schlägt ebenfalls auf den Geldbeutel des Imkers: Weil sie äußerst anspruchsvoll ist und bei der geringsten Unzulänglichkeit auswandert (ein Grund für die rasche Ausbreitung), muß der Bienenhalter mit exzellenter Ausrüstung arbeiten und für erstklassige Verpflegung sorgen. Ohne notwendigerweise für soviel Gastfreundschaft entlohnt zu werden – von der afrikanischen Biene heißt es, daß sie zwar ungeheuer fleißig Honig produziere, den aber vor allem selbst konsumiere.
Doch erschwerend kommt hinzu, daß die Spezies diversen Variationen unterworfen ist. Cámara: „Die afrikanischen Bienen kommen hier in hundert Varianten an, weil praktisch jedes Volk das Ergebnis verschiedener Kreuzungsvorgänge zwischen europäischen und afrikanischen Bienen ist.“
Ein Imker in Süd-Yucatán, der erwiesenermaßen Afrikanerinnen in seinem Bienenhaus hat, jubelt: „Wenn das die afrikanische Biene ist, gebt mir mehr davon!“ – die Produktion habe sich nämlich vervielfacht.
Die Jubelrufe halten sich jedoch in Grenzen. Verängstigte Nachbarn – vor allem in der yucatekischen Hauptstadt Mérida mit Tausenden Bienenhäusern mitten im Stadtgebiet – rufen nach der Autorität oder schreiten zur Selbsthilfe, indem sie widerspenstigen Imkern die Bienenvölker ausräuchern. Und auch im Süden der USA hat zwar noch nicht die Biene, aber bereits die Panik Einzug gehalten. Mit einer gewissen Berechtigung. Die Barriere von Tehuantepec, so wird auf offizieller Ebene betont, wird den Vormarsch der hochaggressiven Bienensorten maximal um ein bis zwei Jahre verzögern. Aufzuhalten ist das Biest nicht mehr, obwohl inoffiziell radikale Vernichtungsprogramme laufen, die in bestimmten Regionen alles ausrotten, was den Namen Biene trägt.
Ein radikales US-Programm, das einen kilometerbreiten Todesstreifen in Panama vorgesehen hatte, blieb unverwirklicht. Das offizielle Antibienenprogramm beschränkt sich auf die Registrierung des Vormarsches sowie die „Verwässerung“. Verwässerung bedeutet, daß der afrikanischen Biene ein breiter Landgürtel mit rein europäischen Bienenköniginnen (produziert in den USA sowie auf zwei mexikanischen Inseln) vor die Nase gesetzt wird. Die Kreuzung mit derselben soll dann den Grad der Afrikanisierung herabsetzen.
Die mexikanische Barriere, so urteilen viele Experten, wurde zu spät errichtet. Die afrikanische Biene ist mittlerweile im Bundesstaat Veracruz angelangt. Bis in den Süden der USA sind es nur noch ein paar Flugstunden …
taz, 10. Oktober 1988