Zu Beginn eines normalen Urlaubssommers wiederholen sich die ewig selben Rituale: Die einen befürchten, dass zu wenig Touristen auf die Insel kommen, die anderen, dass es zu viel werden. Doch die erste echte Gerammeltvollsaison nach Covid beginnt mit einem Paukenschlag: Die Amerikaner kommen! Denn die nach all den vertrumpten Jahren noch etwas benommenen Big-Mac-Gourmets tuscheln einander zu, dass jenseits des sonnenaufgangseitigen Meereshorizonts die inseligste aller Inseln lockt.
Mit Blick auf Kolumbus könnte man sagen: Das Imperium entdeckt zurück! Und als Folge dieses Erwachens nimmt eine direkte Flugverbindung Palma – New York den Betrieb auf.
Nun könnte man in Premierenstimmung verfallen, doch das Archiv verrät: War alles schon mal da. Direkte Flugverbindung Palma – New York? In den 60er Jahren Alltag, denn Mallorca war damals für viele Amerikaner, die in acht Tagen Europa bereisten, die erste Station. („So we did Spain, Italy, France, Germany and some other countries I don’t remember …”).
Ein Amerikaner war es auch, der gemeinsam mit einem Inselwinzer für seine Landsleute ein Hotel schuf, in dem sie haufenweise abstiegen. Steve Kusak und José Luis Ferrer verwandelten den Landsitz Son Vida bei Palma in eine dermaßen idyllische Bleibe, dass einige Gäste Disneyland-Methoden argwöhnten. So ist überliefert, dass ein frisch eingetroffener Amerikaner beim Abendessen auf der Terrasse den Kellner für das akustische Ambiente lobte, das Bimmeln der Schafsglocken aus den Lautsprechern würde total echt klingen. Dem Kellner fiel beinahe das Tablett aus der Hand. „No, Sir“, stammelte er und zeigte in die Dunkelheit. „Really sheep making bim-bim!“
Man könnte auch einen Mystery-Roman zusammenfantasieren rund um jene Gäste, die mit dem Kennedy-Attentat zu tun hatten, allen voran Earl Warren, genau, der von der Kommission. Ein geheimer Treffpunkt der Verschwörer? Es würde zur Lebensgeschichte des amerikanischen Mitgründers passen: Steve Kusak war vor seiner Hotelierskarriere für die „Flying Tigers“ in Fernost unterwegs und pilotierte das letzte Versorgungsflugzeug, das Nachschub für die belagerten Franzosen in Dien Bien Puh abwarf.
Auch die modernen US-Touristen werden Stories fabrizieren. Aber sie müssen sich mächtig anstrengen, um den Anekdotenschatz ihrer Vorgänger zu toppen.
Kolumne in der Inselzeitung Juni 2022
PS: Das Foto zeigt das allseits bekannte Symbol der Vereinigten Staaten. Nicht erkannt? Das ist die Freiheitsstatue. Nur halt von innen.