Zu den prägenden Erlebnissen der Assimilation in einem fremden Land gehört der Besuch im Supermarkt. Als ich in Mexiko von meiner Gastgeberfamilie erstmalig zum Einkaufen geschickt wurde, tappte ich umgehend in gleich zwei Fallen, weil ich dachte, dass im Reich der Azteken Tomaten Tomaten sind und Bananen Bananen. Weit gefehlt! Die auf dem Einkaufszettel notierten „tomates“ waren grüne Tomaten, nach Hause kam ich jedoch mit roten, also „normalen“ Tomaten, die aber hießen dort „jitomates“ und waren für die geplante Speise unbrauchbar. Ebenso waren die gelben Monsterprügel, die ich anschleppte, „plátanos macho“, die man in der Pfanne zubereiten muss, und keine Normbananen, wie ich sie aus dem Sparmarkt in Vorarlberg kannte.

So wird man mit lokalen Merkwürdigkeiten vertraut. Ähnliches geschah zu Beginn meines Inseldaseins. In der Fleisch- und Wurstabteilung eines großen Einkaufstempels auf wartete der Mallorca-Neuling, der ich damals war, geduldig auf seine Nummer. Als ich an der Reihe war, sprach mich die Angestellte mit den folgenden Worten an: „Y qué te preparo, cariño mío?“ Was man übersetzen könnte mit: „Und was richte ich für Dich her, mein Schatzilein?“

Momentan war ich fassungslos. In all den Jahren meines Erwachsenen-Daseins hatte mich noch nie eine wildfremde Frau schon bei der ersten Begegnung als „Schatz“ angesprochen. Das Erlebnis fand seine Fortsetzung, als eine spanische Fotografin, mit der ich die Bebilderung eines Artikels aus meiner Feder besprach, mich an einem Punkt der Konversation unvermittelt als „guapo“ (Hübscher) bezeichnete.

Zunächst verfiel ich in tiefes Grübeln darüber, welche zwangsläufig neuen Attribute meiner Persönlichkeit für diesen schlagartigen Erfolg bei Frauen verantwortlich waren. Zumal ich die Mallorquiner ansonsten als markant reserviertes Völkchen erfahren hatte.

Mein Hochgefühl währte nicht lange. Bald ertappte ich „meine“ Verkäuferin dabei, wie sie auch andere Kunden ohne Rücksicht auf das Geschlecht und in großzügigster Weise mit Kosenamen bedachte, die man nördlich des Südens außerhalb von Schlafzimmern eher selten hört. Das war mir vorher nur deshalb nicht aufgefallen, weil mich die Auswahl an Schinken und Würsten nervös machte und  ich deshalb konzentriert wie ein Schauspieler an meinem „Auftritt“ feilte, um denselben nicht zu verpatzen. Fremdes Land und fremde Sprache , noch dazu vor Publikum, ich wollte auf keinen Fall wie ein dämlicher Ausländer dastehen.

Ich lernte: Die waren also normal, diese verbalen Zärtlichkeiten in der Wurstabteilung. Bald hatte ich in mehreren Supermärkten einige offensichtlich vom Festland abstammende Schinken-Ladies lokalisiert, an denen ich ohne Aufpreis mein Selbstwertgefühl aufrichten konnte mit „Schnucki“ hier, „Liebling“ da und „König“ dort.

Was aber die Fotografin betraf, die meine männliche Schönheit besungen hatte – sie war Baskin und somit keiner Süßholzraspelei verdächtig. Als ich unsere Konversation Revue passieren ließ, kam ich zum Schluss, dass ihr „guapo“ reiner Spott gewesen war. Später lernte ich: Sowas sagt dir eine Spanierin, wenn sie für ziemlich idiotisch hält, was du gerade von dir gegeben hast.

Aber es kann natürlich auch vorkommen, dass eine Frau das mal ernst meint. Finde den Unterschied …

Kolumne in der Mai 2023