Ich kann mich noch gut an einen ähnlich grausigen November erinnern. Das war vor rund zwanzig Jahren und fiel mit einer internationalen Konferenz in Palma zusammen, bei der über den Klimawandel und die zukünftigen Trockenperioden im Mittelmeer diskutiert wurde. Nun weiß jeder halbwegs gebildete Ignorant, dass Wetter und Klima nicht dasselbe sind. Komisch war es trotzdem, wenn die Experten nach ihren Vorträgen über den drohenden Wassermangel auf die Straße traten und fast davongeschwemmt wurden, wenn wieder mal ein Wolkenbruch niederging, der ahnen ließ, was jener Urgermane, der das Wort erfunden hat, gerade erlebt haben musste.

Der gesamte November in jenem Jahr war grau, kalt und regnerisch, von Allerheiligen bis Advent. Eine meteorologische Anomalie. Dann kam der November 2021. Das Wetter – ein Verlegenheitsthema? Geschenkt, ich muss hier abschimpfen. Denn der November 2021 machte vor dem Dezember nicht Stop. Es blieb grau, kalt und regnerisch, nur gelegentlich erschien – nicht schien – die Sonne wie eine laszive Schöne, die kurz auf die Bühne tänzelt, für ein paar Sekunden den Rock lüftet, gerade ausreichend lang, um zu ahnen, was man versäumt, und dann wieder hinter den Vorhang huscht.

Anekdote dazu. Mein Sohn hatte die originelle Idee, im Dezember nach Prag zu reisen. Nachdem ich ein braver Vater bin, gehorchte ich und so flogen wir in jene Region, in der sich vor etwa hundert Jahren das mallorquinische Gefolge unseres Erzherzogs Ludwig Salvator in einem schlecht beheizten Schloss die Hinterteile abgefroren hat. Wie wir so durch Prag spazierten, machte ich eine Bemerkung über die Eisigkeit der böhmischen Luft. Darauf zückte mein Sohn das Handy, checkte die Wetterdaten und tröstete mich: Schau her, Papi, in Palma ist es kälter.

Bitte lassen wir uns das gemeinsam auf der Zunge zergehen: Mit einer Dezember-Reise nach Böhmen entflohen wir der Kälte Mallorcas – Ausrufezeichen, Ausrufzeichen, geballte Faust, Totenkopf, Blitz, Regenwolke und Edvard-Munch-Schrei-Emoticon.

Erst später in den Bergen Nordböhmens machte ich mit eindeutig winterlicheren Verhältnissen Bekanntschaft und freute mich so ein bisschen auf die Rückreise in wärmere Gefilde. Doch als wir in Palma ankamen, war das Sauwetter wegen des großen Erfolgs verlängert worden und dauert bis zum Tag, an dem ich diese Kolumne mit starren Fingern in die Tasten klampfe, während die Familie eine Linie zwischen mir und der Kettensäge zeichnet und wie zufällig Richtung Wald blickt.

Eine mir gut bekannte Spanierin erzählte, dass sie in den ersten Jahren auf Mallorca in einem traditionellen Dorfhaus ohne Heizung gewohnt habe. Wenn sie mit ihren Eltern an einem grausigen Winterabend nach Hause gekommen sei, hätten sie oft noch lange mit laufendem Motor im Auto gesessen, um die Wärme zu genießen.

Nette Story. Aber das ist alles nichts gegen das WC im Haus meiner Großeltern in Österreich. Dieses befand sich in einer ungeheizten Holzveranda. Von den Winternächten, in denen ich dem Druck nicht mehr standhielt und so gegen drei Uhr morgens das Permafrostklo besuchte, habe ich bis heute Erfrierungsnarben am Gesäß.

Anders gesagt: Es gibt Schlimmeres als dieses Depressions-Festival-Wetter im Winter 2021/22 auf Mallorca. Aber nicht viel.

Kolumne in der Inselzeitung Februar 2022