Zwischen den Schöpfern eines Kunstwerks und dem Publikum gibt es einen „Vertrag“. Dem Betrachter wird beschieden, inwieweit die Darstellung realistisch oder symbolisch ist, und er stellt sich darauf ein. Aus wogenden Zellophanbahnen wird bei den TV-Spielen von „Jim Knopf und die Wilde 13“ der Augsburger Puppenkiste problemlos das Meer. Wird der „Vertrag“ mitten im Film gebrochen und somit die Illusion zerstört, in der man sich eingerichtet hat, wird das Publikum sauer. Manchmal ist aber auch der Zufall am Werk. Beispiele:
In den 80er Jahren kam ein Film mit dem Titel “Firefox” in die Kinos. Clint Eastwood spielt darin einen Elitepiloten, der auf eine halsbrecherische Mission geschickt wird: Er soll das neue Superflugzeug der Russen klauen. Ich sah den Film damals in einem Wiener Kino. Das war heikel, denn einige Szenen, die in der Sowjetunion spielen, waren in Wien und Umgebung gedreht worden. Dafür hatten die Filmleute ein paar düstere Straßenzüge, die man seinerzeit in Wien problemlos fand, anständig sowjetisiert. Und das funktionierte auch. Ein paar Plakate mit Parolen in kyrillischer Schrift, eine rote Fahne mit Stern und ein paar Typen in Kosakenstiefeln, schon wird die Knödelhüttenstraße (gibt’s wirklich, 14. Bezirk) zur Scharikopodschipnikowskaja Uliza.
Als der gute Clint jedoch im ländlichen Russland unterwegs war, musste er an einem Bahnübergang anhalten. Und was sahen wir Kinobesucher mit sich weitenden Pupillen? Da zuckelte doch ein schnuckeliger Nahverkehrszug der Österreichischen Bundesbahn vorbei. Das Publikum begann lautstark zu protestieren, weil die Hollywoodianer unserer Eisenbahn offenbar Ostblock-Ästhetik zumaßen und sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, den “Puszta-Express”, wie wir das Bähnchen nannten, auch nur ansatzweise zu verostblocken.
Etwas Ähnliches passierte mir bei “Total Recall”. Ich sah diesen Schwarzenegger-Klassiker kurz nach der Premiere in Mexiko-Stadt, wo ich damals lebte. Genau dort waren viele Szenen gedreht worden, die in der Zukunft und großteils auf dem Planeten Mars spielen. Die Fiktion lag in Trümmern, als ich den kernigen Arnold durch eine Kulisse stapfen sah, die ich eindeutig als jene U-Bahnstation erkannte, an der ich gerade ausgestiegen war und die nur hundert Meter vom Kino entfernt lag, nämlich Glorieta de Insurgentes. Aber wenigstens konnten die Mexis das als Kompliment für ihre futuristische Architektur auffassen. Das Hallo im Saal war natürlich groß. Es dauerte eine Weile, bis wir gedanklich wieder in der Zukunft waren.
Einen besonders kuriosen Streich spielte mir das Schicksal mit “Das Böse unter der Sonne”, ein Krimi nach Agatha Christie, dessen Handlung in weiten Teilen auf einer fiktiven Adria-Insel angesiedelt ist. Diesen Film sah ich vor 40 Jahren in einem Kino in Zürich. Ich war nahezu erschüttert von der Schönheit der mediterranen Schauplätze. Und erinnere mich sehr genau an meine Gedanken, als ich danach wieder in einer kalten grauen Straße stand: Wäre das nicht irre, in so einer Gegend zu leben!?
Dass die Außenaufnahmen tatsächlich auf Mallorca gedreht worden war, erfuhr ich erst, als ich bereits hier wohnte.
Das Foto (Reinhard Mohr) zeigt mein deutlich jüngeres Ich bei einer anderen Begegnung zwischen Kino und Realität, in einer Filmrequisite des Klassikers von 1982, dem fliegenden Polizeiauto, bei einer Ausstellung in den 80er Jahren in Österreich.
Kolumne in der Inselzeitung März 2024