Weil Kino momentan nicht geht, schwelge ich in Erinnerungen an die denkwürdigsten Filmvorführungen meines Lebens.
Ganz oben auf der „Experience“-Skala: Kinobesuch im syrischen Aleppo. Gezeigt wird eine Schwarzenegger-Action-Schmonzette. Aber von der bekomme ich wenig mit. Die eigentliche Action findet im Saal statt. Das Kino: Ein historisches Gebäude ganz aus Holz, von den Wüstenwinden sehr, sehr gut getrocknetes Holz. Das Publikum: ausnahmlos junge Männer. Der Saal ist mit Rauchverbotsschildern buchstäblich tapeziert. Kein Schwanz hält sich daran, sogar während des Films wird zwanglos geraucht. Und wenn die Zigarette fertig ist, wird sie nicht etwa diskret ausgedämpft, oh nein, sondern in hohem Bogen durch den Saal geschmissen. Fassungslos sehe ich die noch glühenden Stummel wie Sternschnuppen durch die Dunkelheit fliegen. In Erwartung einer Katastrophe setze ich mich neben einen Notausgang und statt mitzuerleben, wie Arnold sich durch den Film prügelt, beobachte ich nervös die gelandeten Stummel und ob sich jetzt ein Brand entzünden wird. Aber alles geht gut. Die Katastrophe sucht Aleppo erst viele Jahre später heim, wie wir alle wissen. Zuviel Zündeln – das geht nicht gut.
Bleiben wir in Arabien. Kino-Abend im British Council der yemenitischen Hauptstadt Sana’a. Wir freuen uns auf eine amerikanische Filmkomödie. Kleiner Saal, der Projektor steht hinten auf einem Gestell. Bevor das Licht ausgeht, geschieht etwas Merkwürdiges: Der Filmvorführer verhüllt sich selbst und den Projektor mit einem dunklen Tuch. Erst später verstehe ich: Der Mann ist auch als Hüter der Moral im Einsatz. Er hat seinen eigenen Bildschirm, und wenn mehr weibliche Haut zu sehen ist als dem lokalen Publikum zumutbar, deckt er den Lichtstrahl ab und ist für die kritischen Momente der Einzige, der sieht, was los ist. Wir Zuseher bekommen nur noch den Ton mit und sind alleine auf unsere schmutzige Fantasie angewiesen, um uns vorzustellen, was da gerade an Unsittlichem abgeht.
Viel romantischer ist der denkwürdige Kinoabend in unserem kleinen mallorquinischen Dorf, viele Jahre her: „Titanic“ wird auf eine riesige Leinwand des Hauptplatzes projeziert. Doch nicht nur Leonardo DiCaporio und Kate Winslet sind angesagt, sondern auch Regen. Eine wolkenlose Dämmerung scheint die Prognose ins Reich des Absurden zu verweisen. Kommt ja gelegentlich vor, dass sich Meteorologen irren … Trotzdem rücken meine bessere Hälfte und ich mit einem Regenschirm an und werden dafür auch spöttisch gemustert. Die „Titanic“ schickt sich gerade zum Untergang an, als der Himmel jäh seine Schleusen öffnet. Schlagartig ist der Platz leer. Doch der Film läuft weiter, denn der Projektor steht geschützt in einem Lieferwagen und der Vorführer macht weiter, denn da sitzen ja noch zwei ganz alleine vor der riesigen Leinwand, dicht aneinander geschmiegt unter dem Regenschirm. Der Wolkenbruch prasselt nieder und die „Titanic“ bricht auseinander und Leonardo rettet Kate im eisigen Meer. Am Ende ist alles nass. Leonardo, Kate, der Dorfplatz und – geben wir’s zu – auch unsere Augen.
Hoffentlich geht sowas bald wieder.
Kolumne in der Inselzeitung Februar 2021