Meine „Beziehung“ zur Familie Nadal begann denkbar schlecht. Ich sollte eine Reportage über das „Orquestra de Gent Gran“ schreiben, ein Sinfonieorchester, das aus pensionierten Musikern besteht. Dafür besuchte ich eine Probe im Militärsportzentrum Es Fortí in Palma. Meine Kontaktperson führte mich zu einem 73 Jahre alten Herrn, der spüren ließ, dass er mehr Dynamit im Hintern hatte als zehn Punkrock-Bands zusammen. „Das ist Rafa Nadal“, wurde er mir vorgestellt. Alle sahen mich an, als erwarteten sie eine Reaktion. Ich reagierte aber nicht und sagte nur: „Sehr erfreut“. Der Kontaktmensch beharrte: „Das ist der Großvater des Gleichnamigen.“ Ich sagte „Aha“ und wollte meine erste Frage über Musik im höheren Alter stellen, aber der andere ließ nicht locker: „Rafa Nadal!“ Ich zuckte die Achseln und erwiderte: „Okay. Und wer ist das?“ „Na, der Tennisspieler.“ „Nie gehört“. Rundum verlegenes Grinsen. Aber seien wir fair: Das war noch vor dem ersten Titel in Roland Garros und bevor ich zum Präsidenten des „Vereins der Vorarlberger Rafa-Nadal-Fans der mallorquinischen Zentralebene“ gewählt wurde, einstimmig, vom einzigen Mitglied: mir selbst.
Die Konzertprobe vermittelte einen Eindruck von den Power-Genen der Familie. Rafa Nadal Opa kommandierte mit einer Verve, dass Funken aus dem Taktstock schlugen. Einmal stelzte er zum Schlagzeuger, riss ihm die Stäbe aus der Hand und trommelte ihm den korrekten Rhythmus vor. Meine Tennis-Ignoranz nahm er mir nicht übel, im Gegenteil, noch einige Male telefonierten wir, es waren angenehme Gespräche, und als er starb, war mir, als hätte ich einen lieben Verwandten verloren.
Jahre später erhielt ich den Auftrag, mit dem Enkel ein Interview zu führen. Rafa und sein Onkel Toni befanden sich in Wimbledon, und ich erwischte die Nadals telefonisch in ihrem Quartier mitten in den Vorbereitungen zum Aufbruch Richtung Tennis-Tempel. Toni gab meine Fragen an Rafa weiter, der schon nervös war wegen des anstehenden Spiels. Aber obwohl der Neffe immer wieder jammerte, man müsse nun endlich los, beantwortete Toni geduldig und liebenswürdig meine depperten Fragen. Zum Beispiel wollte ich wissen, ob die Spieler einander in der Garderobe gelegentlich Streiche spielten (ja!). Oder ob ein Elitespieler denn noch Muskelkater hätte. Und solchen Krampf.
Rafa war bereits ein junger Weltstar, als ich ihn persönlich erlebte. Auf der Touristikmesse in Madrid sollte er im Balearen-Pavillon ein paar Worte zum Thema Golf sagen. Er ist ja Golfer, und kein schlechter. Nachdem er als Redner nichts taugt, hatte man ihm einen vorbereiteten Text in die Hand gedrückt. Den las er brav vor. Bis er zu einer Stelle kam, wo er seine eigenen Golfer-Qualitäten preisen sollte. Er hielt inne, grinste verlegen und raunte in die Runde: „Das ist jetzt übertrieben.“
Dann ist da noch die Story von dem lieben Kumpel und Sportexperten damals in der Redaktion der Mallorca Zeitung, der mir sagte: „Jetzt ist Feierabend, Rafa Nadal ist am Ende, der reißt nichts mehr.“
Das war um 2011 herum. Er könnte allmählich Recht bekommen, mit schlappen zehn Jahren Verspätung.
Kolumne in der Inselzeitung Juli 2021