Früher war meine Flugangst auf Katastrophen fokussiert. Der Jet nimmt auf der Piste keine Fahrt auf und kracht ins Gemüse. Oder in 11 Kilometern Höhe sagt jemand: “Schatzi, guck mal, das Triebwerk brennt, gib mir mal den Fotoapparat.”
Lange her. Heute durchlebe ich die Air-Travel-Panik lange vorher. Nämlich beim Einchecken zu Hause am Computer. Es beginnt damit, dass die Flug-Such-Plattform mir einen Account aufgeschwatzt hat mit dem Versprechen eines automatischen Check-ins, die Bordkarten kämen per Mail. Als am Reisetag noch immer nichts gekommen ist, checke ich den Status und lese: Go to Airline. Fehlt nur ein Mittelfinger-Icon.
Gut, dann checke ich selber. Lese durch, was man alles machen und meiden muss, damit die Boarding-Lady nicht direkt den Panikbutton drückt. Dann geht es durch eine Serie von Angeboten. Neben unverzichtbaren Extras wie Versicherung, Zusatzgepäck, Snack, Supersnack, und dem beliebten Dein-Sitznachbar-will-dich-umbringen-Gourmetsnack sowie Mietauto, Hotel, Eintritt in 40 Museen, Stadtrundfahrt, Babysitter, Masseur, Leibwächter, Finanzberater, Zahnarzt, Psychologe und Leichenbalsamierer wird mir dringend geraten, mir einen bestimmten Sitzplatz zu sichern, läppische 20 Euro. Andernfalls würde der Airline-Algorithmus dafür sorgen, dass ich den schlechtestmöglichen Platz mit den übelriechendsten Nachbarn und den geringsten Überlebenschancen bei einem Crash kriegen werde.
Ich fasse mir ein Herz und sage trotzdem Nein. In den folgenden Schritten erhalte ich mehrfach Gelegenheit, meine Sorglosigkeit zu überdenken. Daneben muss ich entscheiden, ob ich gegen Aufpreis „Flight Info“ erhalten möchte (4 Euro), ob das physisch vorhandene Kabinenpersonal meine Fragen beantworten soll (weitere 4 Euro) oder auch das Bodenpersonal (nur 2 Euro Aufpreis, Sie sparen 2 Euro) und ob es mich dabei anlächeln soll (2,50 Euro, der Economy-Grinser des Monats). Am Ende der Prozedur warnt mich das System, dass der geringste Verstoß gegen neuntausend Vorschriften, die ich nicht gelesen aber als gelesen angetickt habe, zur Aberkennung meiner Rechte als Passagier, als EU-Bürger und als Mensch führen kann. Als nach einer Stunde die Bordkarte aus dem Drucker kriecht, bin ich in Angstschweiß gebadet.
Für herkömmliche Flugpanik ist keine Schweißperle mehr übrig.

Kolumne in der Inselzeitung September 2022