Auf der Suche nach einem heimeligen Advent-Thema bin ich bei Joel Waldfogel gelandet. Dieser US-Wissenschaftler hat nachgewiesen, dass Weihnachtsgeschenke dem Wohlstand einer Gesellschaft schaden. Er bestätigt somit empirisch, was wir immer schon geahnt haben.
Alter Hut, werden Kenner sagen. In der Tat. Waldfogel veröffentlichte sein Buch über den Weihnachts-Wirtschafts-Wahnsinn bereits 1993: „Scroogenomics: Why You Shouldn’t Buy Presents for the Holidays“ (wörtlich: „Dagobert-Wirtschaftslehre: Warum Sie für Feiertage keine Geschenke kaufen sollten“). Er argumentiert, dass Geschenke tendenziell weniger werthaltig sind als ihr Preis, weil die Beschenkten in den meisten Fällen etwas anderes gekauft hätten. Alleine für die USA schätzte der Ökonom damals den wirtschaftlichen Schaden auf 4 bis 13 Milliarden Dollar pro Jahr.
Dabei sind mildernde Umstände wie Umtauschen und Geschenkgutscheine berücksichtigt. Waldfogel wirft ein, dass viele „Geschädigte“ aufs Umtauschen verzichten, speziell bei billigeren Geschenken, weil der Aufwand nicht lohnt. Geschenkgutscheine wiederum sind für jene, die sie ausstellen, ein gutes Geschäft, weil ein Teil nie eingelöst wird.
Geld schenken wäre volkswirtschaftlich gesehen das Effizienteste. Aber eben sooo unweihnachtlich. (Obwohl der Gedanke an ein hübsch verpacktes Geldbündel zumindest bei mir durchaus festlichen Glanz in die Augen bringen würde).
Verschärfende Faktoren kommen gerade für ein Kollektiv hinzu, das finanziell besonders unter Stress steht: Familien mit Kindern. Der Kalender diktiert gnadenlos, wann die Geschenke organisiert sein müssen, nämlich vor dem Schlussverkauf mit all den Sonderangeboten. Und für die wahnsinnige Idee, ausgerechnet während der Schulferien mit den Kleinen eine Reise zu unternehmen, zahlen sie zehnmal so hohe Preise wie all die Bobos, Dinks und Best-Ager, die ihre Ungebundenheit nutzen, um mit hämischem Hihihi wesentlich bessere Deals für ihre kerosingetriebenen Glücksmomente zu erheischen. Meine Theorie: Dynamische Echtzeit-Preisgebung (je höher die Nachfrage umso teurer) hat ihren Anteil am demografischen Niedergang der westlichen Zivilisation. Bestraft werden damit vornehmlich Familien mit Kindern. Herzlichen Dank auch an die digitale Revolution, die das möglich macht.
Wenn ich jetzt die anwärmende Weihnachtsstimmung kaputtgemacht habe, tut mir das irgendwie leid. Da ich ein Menschenfreundlichkeitstraining absolviert habe (mit einem Empathie-Coach, das letzte Weihnachtsgeschenk meiner Ex …), folgen nun Ratschläge zum Umgang mit dem Tschingelbell-Dilemma.
Vor brachialen Lösungen sei gewarnt: Ich kenne eine Person, die in einem Weihnachtsverweigerer-Haushalt aufgewachsen und heute eine Stille-Nacht-Talibanin ist. Praxistipp: Um zumindest den Geschenke-Stress zu mildern, dehne ich das Weihnachtsshopping aufs ganze Jahr aus. Wenn ich im Juli zufällig auf etwas stoße, was jemandem Freude machen könnte, höre ich in meinem Inneren dezemberliche Glöcklein bimmeln und greife zu.
Schließlich das: In einem Interview mit der New York Times gestand Joel Waldfogel, dass er in seinem Privatleben auf die eigene Studie pfeift und Geschenke kauft. Aber nur für Menschen, die er gut kennt.
Happy Advent!
Kolumne in der Inselzeitung Dezember 2024
Foto: Christkindlmarkt vor Schloss Schönbrunn, Wien