Mitte August kam eine mit mir bekannte Spanierin nach Hause und sagte: „Übrigens habe ich Amber Heard gesehen. Ich war gerade im Tabakladen, da kam sie rein.“

Ich bin abgehärtet, was Dorftratsch betrifft. Was in unserem … naja, Kuhdorf kann ich Costitx nicht nennen, weil mir noch nie eine Kuh begegnet ist, und den sich aufdrängenden Flachwitz lassen wir unausgesprochen … jedenfalls: was hier an Unglaublichem erzählt wird und sich nachher als Fakt erweist, ist genau das: unglaublich. Dieser Häuserhaufen zwischen Inca und Sineu hat es in sich. Trotzdem war ich skeptisch. Warum sollte die „Depp-Ex“ ( wie eine Illustrierte die Exfrau von Johnny Depp nannte) nach ihrem weltweit verfolgten Show-Prozess ausgerechnet in Costitx unterkriechen? Auf der Welt gibt es 4.420 Städte, und wenn Amber auf spanische Dörfer fixiert war, hätte sie unter 8.131 wählen können.

„Bist du sicher?“ fragte ich.

„Hundert Prozent. Ich habe sie erkannt.“

Knappe zwei Wochen später wussten wir dank unterschiedlicher Quellen 1) dass tatsächlich Amber Heard in Costitx wohnte, 2) in welchem Haus, 3) wie viel Miete sie bezahlte, 4) wie lange sie bleiben wollte, 5) dass Johnny-Depp-Fans in Hörweite vorsichtig sein mögen, weil sie als Texanerin Spanisch verstehe.

Nun mein Dilemma: Sollte ich die Neuigkeit journalistisch verwerten oder lieber später darüber schreiben, wie lange es brauchen würde, bis Ambers Dorfurlaub publik würde? Ich entschied mich fürs Letztere. Denn ich bin zuerst Dorfbewohner und erst dann Journalist. Das Dorf hatte beschlossen, die Frau in Ruhe zu lassen. Punkt. Nicht untypisch für mallorquinische Dörfer. Möglicherweise wusste Amber das und hatte deshalb hier Zuflucht gesucht. Übrigens nicht irgendwo in einer Geheimfinca im Gemüse, sondern mitten im Dorf.

Meine Entscheidung hatte einen weiteren Grund: Mich interessierte, wie lange die Dorfdiskretion wirken würde. Ich meinte ja immer schon, dass Mallorca für Promis genau deshalb so reizvoll ist: Die Mallorquiner lassen sie in Ruhe. Aber noch nie hatte ich Gelegenheit gehabt, diese These aus nächster Nähe auf dem Prüfstand zu sehen.

Ergebnis: Fast zwei Monate konnte Amber ungestört im Dorf wohnen, bis das Amber-in-Costitx-Medientheater losbrach. Im Zeitalter der Blitz-Info, der Handy-Fotos, der Netzwerke ist das eine Ewigkeit.

An manchen Orten bleibt die Zeit manchmal stehen.

Kolumne in der Inselzeitung November 2022