Als Dinosaurier, der im vorigen Jahrhundert sozialisiert wurde, bin ich mit moderner Technologie nicht unbedingt das, was man per du nennt. Trotzdem habe ich mich in einigen Lebensbereichen in das Dritte Jahrtausend vorgetastet und bin zeitweise verblüfft, wie komfortabel sich dieses generell eher feindselige Territorium anfühlt. Zum Beispiel: Beim Wandern nutze ich eine App, die mir hilft, den richtigen Weg zu finden. Die Nutzer laden ihre Wanderungen hoch, und einige besonders engagierte Per-Pedes-Enthusiasten liefern dazu ausführliche Beschreibungen. Dank Satellit kann man diesen Routen sehr einfach folgen, zumal mein Smartphone mich sofort anschnauzt, wenn ich vom rechten Weg abkomme.
Sehr früh in meiner technologisch gepowerten (ah, dieses Wort!) Herumgeher-Karriere wurde ich auf einen gemütlich wirkenden Herrn mittleren Alters aufmerksam, der schöne Wanderungen dokumentierte, in der Regel gemeinsam mit zwei ebenso gemütlichen Freunden. Ich dachte mir: So wie die drei Typen auf den regelmäßig mitgelieferten Selfies aussehen, wohl genährt, mit Sofagrinsen und schon etwas betagt, werden die keine Routen gehen, die einen leidlich trainierten, wenn auch von den Alpen entwöhnten Ösi vor Probleme stellen. Anders gesagt: Ich war auf längere Spaziergänge mit schönen Bergausblicken eingestellt.
So kam’s dann aber nicht. Nach den Erfahrungen der letzten Monate habe ich das Trio nun mit zornigem Sarkasmus auf den Namen „Gemütliche Onkelz“ getauft. Und erwäge rechtliche Schritte.
Gerade kürzlich stand ich wieder mal mitten in den mallorquinischen Hochalpen vor einer Schlucht, welche die von den Gemütlichen Onkelz gegangene Route eiskalt querte, für meine Verhältnisse absolut unwegsames Gelände, kein sichtbarer Pfad weit und breit, im Kopf die einlullende Beschreibung: „… stellt kein Problem dar, man muss nur ein bisschen Obacht geben“. Aber da war sie, die Linie in der App, klar sichtbar und bestenfalls eine Option für lebensmüde Tramuntana-Gemsen.
Nun weiß ich ja, dass in das Ortungssystem mit Absicht ein paar Meter Ungenauigkeit eingebaut sind, weil man Terroristen nicht noch mehr Möglichkeiten geben will, dank der Segnungen der von ihnen verachteten Zivilisation dieselbe zu vernichten. Doch selbst wenn ich diese Variable ins Gelände denke, finde ich keine Antwort auf die Frage: Wie zum Teufel sind die hier rübergekommen?
Nachdem ich mich durch tückisches Gelände wieder zurück auf einen passablen Weg gekämpft hatte, rasten meine Gedanken auf der Suche nach einer Erklärung. Am Ende blieben drei Hypothesen:
Eins: Jeder der „Gemütlichen Onkelz“ führt im Rucksack eine Drohne mit, die sie über kritische Stellen hievt.
Zwei: Die „Gemütlichen Onkelz“ sind, was man eine „False Flag Operation“ nennt. Die abgebildeten Onkelz sind gar nicht die wirklichen Wanderer sondern die mit Hilfe von KI in die Bergfotos gepappten Großväter der eigentlichen Urheber, vermutlich Angehörige einer Gebirgsjäger-Eliteeinheit, die sich einen Spaß machen nach dem Motto: Wenn ein Touri abstürzt, soll das wenigstens einen originellen Grund haben.
Drei: Die gemütlichen Mallorquiner sind zehnmal so geländegängig wie ich.
Und nein, ich werde über diese Hypothesen NICHT online abstimmen lassen.
Kolumne in der Inselzeitung Oktober 2024
Das Foto entstand in genau jener Gegend, wo ich mich im Oktober 2023 verirrte und beim Versuch, querfeldein den Weg zu finden, abstürzte. Knöchelbruch – Hubschrauber – Krankenhaus – Gips. Ein Jahr später habe ich die Tour dann geknackt.