„Die Ursache“ von Thomas Bernhard
Niemand, der so pessimistisch ist, mit sich selbst und anderen hadert, vermittelt dabei einen ähnlichen Lesegenuss wie Thomas Bernhard. Der in den Niederlanden geborene österreichische Dramatiker und Schriftsteller hat in seinem Leben etliche Skandale ausgelöst, ein Kulturminister hat bei einer Preisverleihung wegen Bernhards „Dankesrede“ wutschnaubend den Saal verlassen, er wurde gehasst, geliebt, verabscheut, bewundert, aber kalt gelassen hat er niemanden.
Seine Theaterstücke lesen – schaffe ich nicht, weil ich generell Probleme mit Theater als Lektüre habe (nicht als Zuseher). Bleibt ein umfassendes Prosa-Werk, Romane und Essays, durchwegs Meisterwerke, doch am stärksten erscheint mir seine Prosa, wenn er Selbsterlebtes erzählt. Das Buch „Meine Preise“, in dem er Preisverleihungen und wahre Geschichten rund um seine Auszeichnungen erzählt, ist zum Brüllen komisch und beweist eine unglaubliche Schilderungsgabe. Den Höhepunkt stellt für mich eine Reihe von fünf autobiografischen Büchern dar, beginnend mit „Die Ursache“ (1975). Dem folgten „Der Keller“ (1976), „Der Atem“ (1978), „Die Kälte“ (1981) und „Ein Kind“ (1982). Darin erzählt Bernhard sein Leben und vermischt Erinnerungen mit Betrachtungen und Gedanken.
In „Die Ursache“ beschreibt er u.a. die Bombenangriffe auf Salzburg, die der Schriftsteller als Kind miterlebt hat, sowie das alltägliche Leben und die Atmosphäre der ersten Nachkriegsjahre. In „Der Atem“ geht es vorwiegend um seinen Kampf gegen ein Lungenleiden, das ihn zeitlebens plagte. Es führte u.a. zu längeren Aufenthalten in Spanien, wo ihm das Klima Erleichterung verschaffte, und vor allem auf Mallorca, das er liebte. Sein Roman „Beton“ spielt über weite Strecken auf der Insel.
MEIN LIEBLINGSZITAT
Da muss ich nicht lange suchen. Bernhards Romane sind prallvoll mit denkwürdigen Sätzen, die sich oft über eine ganze Seite hinziehen und mit ihren Wiederholungen und Variationen desselben Themas einen musikalisch wirkenden Rhythmus aufweisen. In „Die Ursache“ kann ich gleich den ersten Satz des Romans zitieren, weil Bernhard seinem Hang zu karikaturhaft übersteigerten Tiraden bereits zum Einstieg nachgibt (ebenso wie seinem Hang zu merkwürdiger Beistrich-Setzung). Über Salzburg sagt er: „Die Stadt ist, von zwei Menschenkategorien bevölkert, von Geschäftemachern und ihren Opfern, dem Lernenden und Studierenden nur auf die schmerzhafte, eine jede Natur störende, mit der Zeit verstörende und zerstörende, sehr oft nur auf die heimtückisch-tödliche Weise bewohnbar.“
NEBENBEI ERWÄHNT
Thomas Bernhard hat nicht nur über Salzburg und Österreich geschimpft. Der findige Suhrkamp-Verlag widmet den Ausfälligkeiten des Autors ein eigenes Buch namens „Städtebeschimpfungen“, einer Sammlung von Texten, in denen Bernhard auch über außerösterreichische Örtlichkeiten herzieht. So lösten seine Bemerkungen über Augsburg einen Konflikt aus, der Kreise bis ganz oben zog. Bernhard selbst schien eher belustigt, er hatte die Stadt eigentlich nur gewählt, weil ihm der Name vom Klang her für seinen Text geeigneter erschien als andere. Tatsächlich weiß man oft nicht, inwieweit Bernhard es ernst meint, oder ob überhaupt. Tatsächlich – und das wird in manchen autobiografischen Berichten deutlich – war er ein großer Humanist, der an den großen und kleinen Tragödien und Gemeinheiten verzweifelte und sich mit seiner Schreibe quasi selbst therapierte.