„Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt
Laut Marcel Reich-Ranitzky hat Dürrenmatt diesen Krimi nur geschrieben, um Geld zu verdienen. Wenn man berücksichtigt, dass einige der besten Musikstücke der Klassik derselben Motivation zu verdanken sind, ist das nicht per se eine Disqualifizierung. Was mich an „Das Versprechen“ und an Dürrenmatts Prosa generell fasziniert, ist die Schlichtheit der Sprache. Der Schweizer Dramatiker, der über Österreich sehr unschöne Dinge gesagt hat und dem ich das mit Zähneknirschen verzeihe, verwendet nicht ein Kapitel, nicht einen Absatz, nicht ein Wort, nicht einen Buchstaben mehr als unbedingt nötig. Das ist beachtlich, wenn sein Hauptziel darin bestand, mit diesem Roman Geld zu verdienen.
Gestoßen bin ich auf das Buch über den legendären Schwarzweiß-Film „Es geschah am helllichten Tag“ (1958). Gert Fröbe und Heinz Rühmann tragen darin ihren Teil zu einem der besten Produkte der deutschen Filmindustrie des 20. Jahrhunderts bei. Es handelt sich nicht um eine Verfilmung, sondern umgekehrt: Dürrenmatt war beauftragt worden, ein Script zum Thema Sexualverbrechen an Kindern als Filmvorlage abzuliefern. Danach ließ ihn die Story nicht los und er entwickelte sie zu einem Roman weiter.
Die Handlung: Ein „Kriminalkommissär“ (so heißt das wohl bei den Eidgenossen) wird wenige Tage vor seinem Abflug zu einem gemütlichen Auslandsposten zur Ermittlung rund um einen Kindesmord hinzugezogen. Im Gespräch mit der Mutter tragen seine Gefühle den Kriminalisten davon: Er gibt sein Wort, nicht eher zu ruhen, bis der Täter gefasst ist.
Roman und Film weichen voneinander ab. Der Roman ist düsterer, denn der Kommissär pfeift auf den Auslandsposten, verlässt die Polizei und jagt den Täter als Privatier. Er ordnet sein ganzes Leben dieser selbst auferlegten Verpflichtung unter. An einem Punkt pachtet er sogar eine Tankstelle, weil er Hinweise auf eine gewohnheitsmäßige Reiseroute hat. Und er stellt dem Mörder eine Falle (der Leser bemerkt, ich gendere nicht …), für die er eine junge Mutter und deren Tochter als lebende Lockvögel missbraucht.
Als ich in der deutschen Buchhandlung „Dialog“ in Palma de Mallorca jobbte, empfahl ich diesen Roman Spaniern, die ihr Deutsch mit Lektüre praktizieren wollten, genauso wie ich Paul Austers „In the country of last things“, das ich an anderer Stelle bespreche, den Englischlernenden empfahl. Wegen dieser Schlichtheit der Sprache, die so leicht zu lesen, so schwer zu schaffen ist.
Dürrenmatts Prosa kann ich generell jedem ans Herz legen, der eine schnörkellose Schreibe, meisterhafte Schilderungen und narrative Originalität von höchstem Niveau schätzt. „Das Versprechen“ ist mein Favorit, weil die Geschichte mehr ans Herz geht als alle anderen. Sie rührt an den Grundfesten des Menschseins. Dürrenmatt verpflanzt uns in den Kopf eines Profis, der eigentlich abgebrüht sein müsste, der in seinem Berufsleben viele Leichen, viele Opfer und viel Leid gesehen hat, dessen Psyche aber in all den Jahren stets am Abgrund balancierte und am Ende den Kampf gegen den schützenden Zynismus, die rettende Gemütskälte verliert.
Das unscheinbare Büchlein, magere 156 Seiten in meiner alten, zerlesenen dtv-Ausgabe, nimmt in meinem Buchregal und die DVD in meinem Filmregal einen Ehrenplatz ein.
MEIN LIEBLINGSZITAT
Über seinen Aufenthalt im Hotel Steinbock in Chur sagt der Ich-Erzähler auf der ersten Seite: „Doch auch hier Trostlosigkeit. Außer einer deutschen Wirtschaftszeitung und einer alten ‚Weltwoche‘ war keine Lektüre aufzutreiben, die Stille des Hotels unmenschlich, an Schlaf nicht zu denken, weil die Angst hochkam, dann nicht mehr zu erwachen.“
NEBENBEI ERWÄHNT
Insgesamt wurde der Stoff sechsmal verfilmt, darunter auch von Hollywood: In „The Pledge“ kommt Sean Penn (als Regisseur!) Dürrenmatts düsterer Grundidee näher als der deutsche Klassiker, wenngleich mit jenem typischen Pathos einer Unterhaltungsindustrie, die im Kampf um optimierte Zuschauer-Emotionen nur Weltrettung oder Weltzerstörung kennt, aber wenig dazwischen.