Pierres Rinder und ein Sommer in La Rochelle – Making of „Limeray“ / Nr. 2
Genau 50 Jahre nach der Paris-Besichtigung meines Großvaters als Besatzungssoldat kam ich in La Rochelle an, um Französisch, Frankreich und die Franzosen zu studieren. Am Bahnhof war ich der letzte abzuholende Student, meinte schon, ich sei vergessen worden, und dann kam SIE – Beatrice, meine Gastgeberin für die kommenden 12 Wochen. Ich zitiere aus meinem Reisetagebuch: „… ein sehr schlecht gewarteter Simca mit einer sehr, sehr schlechten Autofahrerin, meiner bezaubernden Land Lady, die mir einen groben Einführungskurs in französische Fahrtechnik und die wichtigsten zu missachtenden Verkehrsregeln gab“. Jeweils zum Abendessen traf ihr Freund ein, Pierre, über den ich schrieb: „Je länger ich ihn ansehe, umso ähnlicher wird er Asterix“.
Ihr galanter Pierre, von Beruf Landwirt, war es, der eines Tages „Programm“ mit mir machte. Wir besuchten seine Weide und Viehherde (im Bild), und am Abend nahm er mich auf eine politische Versammlung mit. Das war eine sehr bodenständige Veranstaltung in einer Art Bierzelt – wohl eher Weinzelt –,wo die Larocheller meinten, sie seien ganz unter sich. Und so wurde ich Zeuge, wie ein Gastredner die EU lobte, aber nicht, weil sie uns das Leben erleichterte, sondern weil mit dieser Organisation Deutschland unter Kontrolle stünde, „damit nicht wieder etwas passiert“.
Noch mehr als die Worte des Gastredners beeindruckte mich die ungeteilte Zustimmung. Die Kontrolle des offenbar noch immer gefürchteten und zudem nun wiedervereinigten Deutschland schien auszureichen, um die ganze Versammlung für die EU einzunehmen. Diese Episode grub sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein. Sie zeigte mir, dass der Zweite Weltkrieg bis in die Gegenwart ein Thema ist, dass Geschichte nicht nur Vergangenheit ist.
Beatrice und Pierre bescherten mir den glorreichsten Sommer meines Lebens. Ihr Fahrstil sei Beatrice verziehen. So gut gefielen mir die drei Monate in La Rochelle, dass ich meine Weiterreise nach Spanien und Marokko verschob und einen Monat in Amboise dranhängte. Somit lernte ich jene Region kennen, in der „Das Geheimnis von Chateau Limeray“ spielt.
Kurioses Apropos: In La Rochelle wurden ja Außenaufnahmen zu Wolfgangs Petersens „Das Boot“ gedreht, die Verfilmung von Buchheims Klassiker über den deutschen U-Boot-Krieg. Auf Youtube findet sich ein interessantes Video über die Produktion. Darin erzählt ein Statist, wie er in seiner Verkleidung als deutscher Weltkriegssoldat offenbar so überzeugend rüberkam, dass ein alter Franzose wütend auf ihn losging. Die Polizei verhinderte eine spontane Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs.
Dabei war La Rochelle, wo die Organisation Todt einen U-Boot-Bunker errichtet hatte (der als Kulisse für die Dreharbeiten diente), eine der wenigen Küstenstädte, die unzerstört blieben. Der deutsche und der alliierte Kommandant einigten sich für die letzten Wochen des Krieges auf Stillhalten. Der Deal: Die Alliierten würden die Deutschen nicht angreifen, und die Wehrmacht verpflichtete sich, die geplante Zerstörung der Stadt zu „vergessen“. So warteten die Truppen beider Seiten, bis alles vorbei war. Keine Toten, keine Trümmer. Man glaubt es kaum: Auch im Krieg setzt sich gelegentlich Vernunft durch.