Das Geheimnis von Chateau Limeray
Digital Publishers, 2021
288 Seiten
ASIN B08ZYTZHLR

Als ebook und Print (POD) erhältlich. Hörbuch ist geplant.

Kurzes Video:
Der Autor über die Idee zum Roman und seinen persönlichen Bezug zu Frankreich, Weltkrieg, Wein

Inhalt
Ein kleines Schloss nahe Amboise im französischen Loire-Tal. Bei den Führungen durch das Landgut nimmt die Ruine des ehemaligen Verwalterhauses eine Sonderstellung ein – sie erinnert an eine düstere Episode während des Zweiten Weltkriegs, als das Chateau der Besatzungsmacht als Urlaubsquartier diente. Der Besuch eines jungen Deutschen ist der Ausgangspunkt einer Geschichte, die nicht nur das Leben von Simone auf den Kopf stellt, der Tochter des Hausherrn. Denn die Ruine birgt ein Geheimnis, das die Vergangenheit in einem neuen Licht erscheinen lässt. Ein Roman über die Wunden der Geschichte und die Macht der Liebe, erzählt mit ebensoviel Sinn für Romantik wie Humor.

Hintergrund
Ein sechsmonatiger Studienaufenthalt in Frankreich, bei dem ich mehrere Wochen im Loire-Tal verbrachte, hat eine anhaltende Faszination für das Land geweckt. Literarisch hatte ich diese Faszination bislang nur in einer Kurzgeschichte verarbeitet („Das gläserne Schloss“, per dato unveröffentlicht). Mit der Zeit haben sich jedoch mehrere Grundgedanken zu einer Idee für eine romantische, an historischen Fakten orientierte Geschichte entwickelt. Bei einer politischen Versammlung, zu der mich meine Gastgeber in La Rochelle einluden, wurde mir bewusst, wie tief noch Jahrzehnte nach den beiden Weltkriegen das Misstrauen gegen die Deutschen sitzt. Später erfuhr ich von Urlaubsaufenthalten deutscher Soldaten während der Besatzungszeit. Und fand im Familienarchiv Touristenfotos, die mein Großvater während seines Einsatzes mit der Wehrmacht in Frankreich geschossen hatte. Auch das Weingut als Schauplatz ist kein Zufall: Auf Mallorca habe ich für einen Weinführer an die siebzig ausführliche Interviews mit Weinbauern geführt und bin mit dieser Welt, die etwas ebenso Poetisches wie Bodenständiges an sich hat, sehr vertraut.

Tragisch, erstaunlich, kurios – Einblicke in die realen Hintergründe des Romans


Album: Reisefotos aus Frankreich 1941-1943

Leseprobe
Simone nahm auch in der kalten Jahreszeit oft das Fahrrad, wenn sie nach Amboise fuhr. Die hübsche Stadt an der Loire lag nur etwa fünf Kilometer entfernt mit dem historischen Zentrum auf der anderen Seite des Flusses. Obwohl Simone die Dunkelheit normalerweise mied, in die sie auf dem Rückweg unweigerlich geraten würde, und mittlerweile bedrohliche Wolken aufgezogen waren, entschied sie sich für ihr Bike.
Ein kalter Wind blies durch das Loire-Tal und erschwerte die Fahrt. Gute zwanzig Minuten benötigte sie für die kurze Strecke. Dann kettete sie ihr Rad an den Fahrradständer beim Café Melzi, ein alternativ wirkendes Lokal in einem ehemaligen Fischgeschäft in Angelschnur-Entfernung vom Loire-Ufer, dort, wo sich der historische Stadtkern ausbreitete, bewacht von einer etwas höher gelegenen Burg. Schon von draußen sah sie den jungen Deutschen. Er saß an einem Tisch nahe der Fensterfront und schien vom Ambiente einigermaßen verblüfft.
„Bonjour, Monsieur König!“, grüßte Simone und gab ihm die Hand, bevor sie die Wollmütze und ihre dick gefütterte Fahrradjacke abnahm.
König erhob sich. „Bonjour, Mademoiselle.“
„Sie wirken erstaunt“, bemerkte sie beim Hinsetzen.
Er zeigte auf die Einrichtung. Ein großer Teil war noch mit den weiß-blauen Kacheln verkleidet, die typisch für Fischläden waren. An den Wänden hingen Fischerei-Utensilien und dazwischen Schwarz-Weiß-Aktfotos und Replikas von Renaissance-Porträts. Nichts davon passte zusammen oder ins Ambiente. Die Mischung hatte etwas Psychodelisches an sich.
„Dieses Café ist ziemlich verrückt“, sagte König. „Ich dachte zuerst, das sei ein abgefahrener Sushi-Laden.“
„Würden Sie lieber woanders hingehen?“
„Auf keinen Fall! Ich bin Ihnen dankbar, allein hätte ich das nie entdeckt. Ihr Stammlokal?“
Simone nickte. „Ich bin gerne hier. Der Betreiber ist ein alter Schulfreund. Hallo, Abou!“
Ein schwarzhaariger Kerl mit weißer Schürze, auf der ein Renaissance-Porträt prangte, trat an den Tisch. Er hob die Rechte zu einem Abklatsch-Gruß. „Simone, schön dich zu sehen!“ Die Hände knallten aufeinander, dann eine Umarmung und endloses Abklopfen. Schließlich schüttelte Abou auch dem Deutschen die Hand. „Kaffee, Tee, Bier, Wein? Wollt ihr auch was zum Kauen? Unser heutiger Fischsalat ist Michelin-Stern-verdächtig!“ Er machte dazu die markante Exquisit-Geste eines Chefs: Daumen und Zeigefinger zusammen, die drei anderen Finger abgespreizt, Mund geschürzt, Rücken durchgedrückt – eher eine Parodie, aber es kam überzeugend rüber.
„Michelin, eh?“ Simone grinste frech. „Das sagst du jedes Mal.“
„Weil es stimmt! Man hat uns nur noch nicht entdeckt.“ Abou wandte sich mit einem riesigen Lächeln, das ein makelloses Gebiss entblößte, an König. „Du bist bestimmt Gastronomie-Kritiker! So wie du dich hier umgesehen hast, machen das nur Kritiker.“ Er imitierte den erstaunten Blick, mit dem der Deutsche das Interieur gemustert hatte, und klopfte sich lachend auf den Schenkel und dann König auf die Schulter. Der lächelte tapfer.
Sie bestellten beide einen Kaffee. Als Abou davongestoben war, blinzelte Simone verlegen und sagte: „Ich muss mich schon wieder entschuldigen. Erst die Szene im Château und jetzt macht sich auch noch der Wirt über Sie lustig. Kein glorreicher Tag für den französischen Tourismus.“
König schüttelte den Kopf. „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Er lächelte, aber es wirkte irgendwie gezwungen und überzeugte sie nicht. Entweder war der Deutsche von Natur aus so ernst, oder er fühlte sich nicht wohl hier. Simone erlitt eine seltene Small-Talk-Blockade. Momentan fiel ihr kein banales Gesprächsthema ein, um das Eis zu brechen. Sie wollte aber auch nicht mit der Tür ins Haus fallen und direkt zum Thema kommen. In ihrer Tasche hatte sie ein Werbegeschenk mitgebracht, eine Flasche „Larmes de Limeray“. Aber die wollte sie erst herausholen, wenn der Moment günstig schien. Auch deshalb hatte sie das Lokal ihres Freundes Abou gewählt: Hier würde ihr der Wirt ein Glas bringen, sollte König darauf bestehen, dass sie den mitgebrachten Wein gemeinsam tranken. Woanders würden sie dann rausgeschmissen. Der gemeinsame Trunk, das wusste Simone, war der sichere Weg zu einem Verkauf.
Einen Moment wussten sie beide nicht, was sie sagen sollten, und blickten im Lokal herum. In ihrer Ratlosigkeit wollte Simone schon eine klassische Bemerkung übers Wetter machen, obwohl sie genau diese Art von Scheinkonversation verabscheute, als König fragte: „Merkwürdiger Name, Café Melzi. Klingt nicht sehr französisch.“
„Melzi war ein guter Freund von Leonardo da Vinci.“
König blickte verwirrt. „Und was hat da Vinci mit Amboise zu tun?“
Nun war Simone verblüfft. Ihre Augen verengten sich, und sie legte ihren Zeigefinger auf ihn an, als hielt sie eine Pistole in der Hand. „Sagen Sie mal, was für eine Art Tourist sind Sie eigentlich? Amboise! Da Vinci!“
Er hob beide Hände. „Haben Sie Nachsicht! Ich bin erst gestern angekommen und muss mich noch orientieren. Erleuchten Sie mich bitte!“
Sie verschränkte die Arme. Eigentlich hatte sie beschlossen, dass sie den Deutschen sympathisch fand, weil er sich nach der Szene im Château ein wenig Sympathie verdiente. Aber was er nun verzapfte, hatte weder Hand noch Fuß. „Sie kommen als Tourist nach Amboise und wissen nicht, dass Leonardo da Vinci in Amboise die letzten Jahre seines Lebens verbracht hat und hier gestorben ist? Darf ich fragen, warum Sie in Wahrheit hierhergekommen sind?“
Er schien um eine Antwort verlegen und verzog den Mund. „Sie sind aber streng. Muss man hier eine Prüfung ablegen, bevor man die Stadt besuchen darf?“
„Nein, aber das interessiert mich jetzt.“ Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und machte ein Verhör-Gesicht. Eine Stimme in ihrem Inneren sagte: Du bist genau wie dein Vater, kannst die Gueule nicht halten und bist drauf und dran, einen möglichen Kunden zu vergrämen. Verdammte Gene! Doch sie konnte nicht anders, sie musste wissen, wie zusammenpasste, was der Deutsche von sich gab. Immerhin war sie bei saukaltem Wetter nach Amboise geradelt und lud ihn auf einen Kaffee ein. Und sie versuchte, nett zu sein. Sie hatte ein Recht auf Erklärungen. Ihre Miene verhärtete sich. „Raus mit der Sprache! Was ist der wahre Grund Ihres Besuchs?“
„Na gut.“ Er wies auf das iPhone, das vor ihm auf dem Tisch lag. „Ich wollte es schon zu Beginn sagen – bitte fassen Sie es nicht als Unhöflichkeit auf, wenn ich während unseres Gesprächs einen Anruf entgegennehmen muss. Eigentlich ist mein Aufenthalt in Amboise nur ein halber Urlaub. Ich habe einen Haufen Arbeit mitgebracht. Aber ich musste aus persönlichen Gründen unbedingt ein paar Tage weg und bin der spontanen Empfehlung eines Freundes gefolgt. Deshalb Amboise.“
„Im November“, sagte Simone langsam.
Der Deutsche nickte. „Genau. Im November. Das Loire-Tal ist zu jeder Jahreszeit ein schönes Reiseziel. Oder sind Sie da anderer Meinung?“ Er wartete auf ihre Reaktion, doch sie reagierte nicht und blickte ihn nur fragend an. So setzte er hinzu: „Ich will die Schlösser abklappern. Da ist die Jahreszeit egal.“
Simone wedelte mit dem Zeigefinger. „Nicht ganz, Monsieur. Die Schlösser haben sehr schöne Gärten, und die wären im Frühling oder September bedeutend charmanter. Mit bunten Blättern und so. Nicht sehr überzeugend, Ihre Geschichte.“ Sie zwinkerte ihm zu, um zu signalisieren, dass sie ihn jetzt ein bisschen auf die Schippe nahm, doch König stieg darauf nicht ein, seine Miene blieb ernst, beinahe bedrückt. Mon Dieu, dachte Simone, was für ein steifer Typ. Ihr Vater hatte womöglich recht mit seinen Vorurteilen – der Besucher war ein waschechter Fritz. Steif, humorlos und schwer zu durchschauen.
Daher beschloss sie, zum Spaß einen Gang höherzuschalten. Der Weinverkauf war ihr mittlerweile egal. „Und diese persönlichen Gründe, wegen denen Sie blitzartig das Land verlassen mussten – war das Mord oder so was?“
Nun endlich entfuhr dem Deutschen ein Lacher. Dann noch einer. Schließlich konnte er sich kaum halten und deckte sich mit der Hand den Mund zu. Wie eine Japanerin!, dachte Simone amüsiert.
„Nein“, sagte König. „Ich bin kein Mörder. Meine Berufswahl ging in eine ganz andere Richtung. Ich bin Architekt.“
Simone bemühte sich um eine ernste Miene. „Das eine schließt das andere ja nicht aus. Manche morden als Hobby.“
Der Deutsche schüttelte lachend den Kopf. „Sie sind ja unmöglich!“
Sie zuckte die Achseln. „Französin.“
Abou brachte beiden eine Tasse Kaffee, legte König beiläufig seine kräftige Hand auf die Schulter und sagte: „Wenn sie dich belästigt, gibst du Bescheid. Im Melzi dulden wir kein harcèlement sexuel.“
Simone fuhr mit der Rechten durch die Luft. „Verschwinde!“
„Apropos Melzi“, sagte König. „Sie haben mir noch nicht erzählt, was Melzi mit da Vinci zu tun hatte.“
„Netter Versuch, vom Thema abzulenken“, konterte Simone. „Wir sind mit Ihren Erklärungen noch nicht fertig.“ Sie klopfte zum Takt ihrer Worte auf den Tisch. „Warum kommt ein Architekt im November nach Amboise, obwohl er keine Ahnung von der Bedeutung dieser Stadt für da Vinci hat? Ein Architekt!“
In diesem Moment dudelte Königs iPhone los.